Die Wiege des Windes
allen Interessengruppen Verständnis für die Natur zu wecken, funktioniert so was viel besser, als wenn wir Verordnungen erlassen und restriktiv durchführen.«
Eine Sekretärin trat ein und servierte Tee und Kaffee. Trevisan und Kirner bedankten sich und warteten, bis die Frau die Tür von außen wieder geschlossen hatte.
»Und was wären solche Fälle, wo sich Voraussetzungen ändern?«, fragte Trevisan weiter.
Frau Greven lächelte. »Da habe ich sogar ein aktuelles Beispiel. In den nächsten Tagen werden einige Schutzzonen neu bestimmt. Manche werden von drei zu zwei aufgewertet, andere fallen von zwei auf vier oder sogar von eins auf vier zurück. Im nordwestlichen Teil des Roten Sandes werden manche Teile auf vier zurückgestuft, weil die dortige Seehundpopulation in den letzten zwei Jahren auf den Nullpunkt absank. Dafür wird unterhalb von Mellum ein Gebiet aufgewertet, weil sich dort plötzlich Seehunde sehr wohl zu fühlen scheinen. So ist es ein stetiger Wandel.«
Trevisan warf Kirner einen vielsagenden Blick zu. »Was beeinflusst den Seehundbestand denn so drastisch?«
»Das ist unterschiedlich. Der Seehund ist ein recht eigenwilliges Wesen. Er will seine Ruhe, er will Nahrung, er hat ein Revier und schließt sich zu kleinen Gruppen zusammen. Krankheiten, Nahrungsmangel und andauernde Störungen sind relevante Faktoren. Die vor Jahren wütende Seehundstaupe hat den Bestand stark dezimiert.
Erst in letzter Zeit hat er sich wieder etwas erholt. Das Tier ist sehr sensibel.«
»Und über die Schutzzonen entscheiden Sie?«, fragte Kirner.
»Wir schlagen vor und geben Empfehlungen. Entschieden wird auf Ressortleiterebene. Aber im Normalfall folgt die Kommission unseren Vorschlägen.«
»Wer bildet diese Kommission?«, setzte Kirner nach.
Frau Greven blickte Kirner missbilligend an. »Glauben Sie etwa, da würde manipuliert werden?«
»Nein«, antwortete Kirner rasch und zog das Wort in die Länge, damit erst gar nicht der Eindruck aufkam, er würde Unredlichkeiten vermuten. »Aber wenn ich da eine Entscheidung beeinflussen wollte, wen müsste ich da alles bezahlen?«
Frau Grevens Miene verfinsterte sich.
»Wir sind Polizeibeamte und müssen an alle Möglichkeiten denken«, beschwichtigte Trevisan. »Manchmal mag unser Argwohn übertrieben erscheinen, aber glauben Sie mir, wir kommen selten weiter, wenn wir nicht die Tiefe in allen, auch in den verbotenen, schmutzigen und abgründigen Bereichen ausloten.«
Frau Grevens Gesichtsausdruck hellte sich ein klein wenig auf. »Natürlich ist unser Direktor der Vorsitzende. Der Leiter der Schifffahrtsdirektion, ein Vertreter des Umweltministeriums sowie meine Wenigkeit gehören derzeit zur Kommission. Ich habe allerdings nur beratende Funktion.«
»Gibt es in nächster Zeit spezielle Vorhaben im Bereich des Roten Sandes?«, fragte Kirner.
Frau Greven überlegte. »Natürlich gibt es immer Nutzungsanträge. Fischer, die gerne im Bereich der Bänke nach Krabben fischen würden, wobei es bei den Schifffahrtswegen natürlich Überschneidungen mit der Schifffahrtsdirektion geben kann.«
Die Auskünfte waren wirklich sehr interessant, ob sie im Fall Larsen nützlich waren, das musste sich erst noch herausstellen. Die beiden Kriminalbeamten verabschiedeten sich und baten um Diskretion, schließlich sei dies eine reine Routineüberprüfung gewesen und niemand aus dem Amt stehe unter Verdacht.
Über den Fliegerdeich liefen sie zurück. »Wir sollten den Liebler mal genauer unter die Lupe nehmen«, überlegte Trevisan laut.
»Ist das wieder so eine amerikanische Ermittlungsmethode?«, spottete Kirner. »Ein Schuss ins Blaue?«
Trevisan lächelte. »Gute deutsche Hausmannskost. Früher nannten wir es Intuition.«
Sie hatten den Parkplatz noch nicht erreicht, als Trevisans Handy klingelte. »Corde ist verschwunden«, ertönte die Stimme von Johannes Hagemann. »Er ist am Samstag mit einer Gesellschaft zu einem Törn aufgebrochen und nicht zurückgekehrt. Ich habe mit einem Wirt gesprochen, der hält das nicht für normal. Der Kutter ist für eine längere Ausfahrt nicht geschaffen.«
Trevisan wurde es siedendheiß. Daran hätte er denken müssen. Larsen, Töngen, Corde und Friederike van Deeren teilten sich nicht nur den Platz auf seiner Mindmapping-Seite, auch ihr Schicksal war eng miteinander verwoben.
33
Sie waren ins Haus zurückgegangen. Die Mauern gaben ihnen Sicherheit, wenn es auch eine trügerische Sicherheit war, denn verschlossene Türen würden
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