Die Wiege des Windes
gespeichert. Hatten sie es deshalb mitgenommen? Das hieße aber auch, dass die Kerle noch immer nicht in der Hand hielten, was sie suchten. Das bedeutete, die Jagd ging weiter und die junge Frau war noch immer in höchster Gefahr.
Der Rote Sand. Eine Untiefe mit Sandbänken im Mündungsgebiet der Weser. Was war so interessant daran? Ein Naturschutzgebiet. Vielleicht Öl? Aber das hätte sich bestimmt längst herumgesprochen. War dort ein Schiff gesunken mit Schätzen an Bord?
Rauschgift, hatte Töngen angenommen. Könnte sein.
Russen und Rauschgifthandel passten zusammen. Aber warum im Roten Sand? Abseits der Schifffahrtslinien lud ein Frachter regelrecht zu einer Kontrolle ein. Es sei denn, man wäre in diese unwirtliche Gegend geflüchtet, um dann letztlich doch feststellen zu müssen, dass es kein Entkommen gab. Hatte ein Kapitän seine verfängliche Ladung gelöscht und ins Meer geworfen?
Trevisans Gedanken kreisten um die Untiefe vor der Küste und kamen nicht zur Ruhe. Das Schiff, sie mussten das Schiff finden. Vielleicht würde jemand von der Besatzung reden. Obwohl gerade Festgenommene aus dem Osten häufig eisern schwiegen.
Das Telefon riss Trevisan aus den Gedanken. Er schaute auf die Armbanduhr. Es war kurz nach eins. Er erhob sich und ging in den Flur. »Trevisan hier!«, meldete er sich hastig.
»Endlich …! Ich bin es, Grit!«
Trevisan zog die Stirn kraus. »Warum rufst du so spät noch an, was ist passiert?«
Der beunruhigte Unterton in seiner Stimme blieb seiner Nochehefrau nicht verborgen. »Beruhige dich, ich habe es heute schon viermal bei dir versucht. Auch auf der Dienststelle. Du warst laufend unterwegs. Es hat sich bei dir nichts geändert.«
Trevisan überging den erneuten Nackenschlag. »Was willst du?«
»Ich will mit dir über Paula reden.«
»Jetzt?!« Trevisan setzte sich auf den kleinen Schemel neben dem Schuhschrank.
»Das Mädchen hat sich in den letzten Tagen sehr verändert. Es kann so nicht weitergehen. Sie redet nur noch von Wilhelmshaven und macht mich und Dörte ganz verrückt. Und das jetzt, wo ich es am wenigsten brauchen kann.«
»Ich habe versucht …«
»Ich weiß, was du versucht hast«, fiel ihm Grit ins Wort. »Das Resultat habe ich jetzt hier bei mir. Ich liebe Paula.
Aber ich kann von Dörte nicht verlangen, dass sie auf das Mädchen aufpasst, wenn ich im nächsten halben Jahr nicht da bin.«
Trevisan runzelte die Stirn. »Was heißt: nicht da?«
»In zwei Wochen gehe ich für ein halbes Jahr nach Kopenhagen«, antwortete Grit. »Ich habe ein Angebot in leitender Stellung bei einer Fährgesellschaft und ich habe nicht vor, diese Chance ungenutzt zu lassen. Deshalb rufe ich an. Entweder du nimmst Paula zu dir und ich hole sie wieder ab, wenn ich etwas Passendes für mich gefunden habe, oder ich suche ein Internat für sie aus. Die Kosten bleiben zunächst an dir hängen, später können wir den Betrag dann teilen.«
Trevisan war sprachlos.
»Was ist, bist du eingeschlafen?«
Trevisan überlegte. Welchen Plan hatte Grit ausgeheckt? Was steckte dahinter? Er traute dem Frieden nicht. Dennoch gab es nur ein einziges Wort, mit dem er antworten konnte. Aber was war in einem halben Jahr? Würde Tante Klara Wort halten? Ohne ihre Hilfe wäre die Erziehung seiner Tochter kaum zu bewältigen. Was, wenn der nächste Fall schon wieder auf ihn wartete und er sich die Nächte draußen auf der Straße um die Ohren schlagen musste? Was, wenn ihn dieser Fall noch monatelang beschäftigte? Was, wenn er wieder zu spät kam?
»Ja«, stöhnte er leise.
»Was hast du gesagt?«
»Ja«, schrie Trevisan ins Telefon.
»Was ist bloß los mit dir?«, fragte Grit aufgebracht.
Trevisan atmete tief durch. »Entschuldige, ich bin müde. Ich war heute den ganzen Tag auf den Beinen.«
»Du hättest besser genauso viel Energie in unsere Beziehung stecken sollen wie in deine Polizei«, antwortete Grit gereizt.
Trevisan konnte keinen Ärger gebrauchen. Nicht jetzt, nicht um diese Zeit. »Ruf mich an, wenn du sie bringst«, sagte er, dann drückte er auf die rote Taste.
Noch über eine Stunde lag er im Sessel und grübelte, bevor ihn der Schlaf übermannte. Als er wach wurde, brannte noch immer das Licht. Es war drei Minuten vor sechs. Sein Kopf schmerzte und er fühlte sich wie gerädert.
35
Langsam senkte sich die Nacht über die Insel. Mit der Dunkelheit kehrte auch die Stille zurück. Die Vögel in den Birken vor Onnos Haus verstummten. Doch Onno wusste, dass es für ihn
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