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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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nicht gespart. Ich hab dem Herrn Vorstandsvorsitzenden beim Einsteigen die Autotür aufgehalten, aber er hat mich nicht beachtet. ›Ins Büro‹, hat er gesagt, und als wir in der gläsernen Düsseldorfer Zentrale des Energieriesen angekommen sind, ›warten Sie, muss nur kurz was erledigen, dann geht’s weiter‹. Und wir sind weitergefahren. Weiter, als ihm lieb war. Ich hab mich gewundert, wie lange er nicht bemerkt hat, dass wir in der falschen Richtung unterwegs waren. Er hat sich auf der Rückbank aber auch richtig intensiv mit seinem iPad beschäftigt. Erst nach einer guten halben Stunde sagt er: ›Hören Sie mal, wohin fahren Sie eigentlich?‹ Gewalt wollte ich so lange wie möglich vermeiden und hab es mit Ablenkung versucht. ›Haben Sie nicht die Umleitung gesehen, Herr Teyssen? Wir müssen die Strecke großräumig umfahren.‹ Aber erzähl diesen Männern was von Gewaltlosigkeit, das klappt nie. ›Das kann nicht stimmen, wir sind hier völlig falsch. Sie müssen sofort umkehren.‹ Ich hab das Anästhetikum nur für den Ernstfall eingepackt, aber scheinbar war der eingetreten. ›Entschuldigen Sie, Herr Teyssen, Sie haben natürlich recht. Ich werde nur kurz rechts ranfahren und einen neuen Weg suchen.‹ – ›Was sind denn Sie für einer? Warum schalten Sie das GPS nicht ein? Warten Sie, ich schau mal nach.‹ Er wetzt mit seinem Zeigefinger über den Touchscreen des iPads, schimpft leise über die Unzuverlässigkeit des Personals, während ich den Wagen auf den Pannenstreifen lenke. Ich nestle kurz an meiner Männerhandtasche herum, hol das Fläschchen mit Sevofluran raus, verriegle die Türen und beuge mich schnell nach hinten in den Fonds, um Teyssen damit die Atemwege zu füllen. Der war in seiner Hilfsbereitschaft etwas überrumpelt, ist aber bald eingeschlafen. Gefesselt hab ich ihn trotzdem. Da sind diese verdunkelten Fenster von Limousinen wieder sehr vorteilhaft. Da bist du ungestört und kannst seelenruhig herumhantieren, ohne aufzufallen. Praktisch. Ich hab ihm sein elektronisches Spielzeug und seine Unterlagen in den Kofferraum geräumt, dann sind wir weiter. Den Rest der fünfstündigen Fahrt war er äußerst kooperativ und schweigsam. Er hat auch immer wieder Sevofluran-Nachschub bekommen. In Gorleben hat Teyssens Chipkarte das Sicherheitstor des Transportbehälterlagers problemlos geöffnet. Toll, dass ein Vorstandsvorsitzender einfach Zugang zu allen Bereichen seines Unternehmens hat. Selbst zu Tochterfirmen. Hätte ich mir nicht gedacht. Auch der Sicherheitsdienst hat den Wagen an der Nummerntafel erkannt und mich auf das Gelände fahren lassen. An der Rückseite der Lagerhalle hab ich gewartet, bis Teyssen aus seinem Schönheitsschlaf erwacht. Er war zwar noch benommen, aber sofort wollte er Radau schlagen. Von dem Knebel im Mund hat der sich überhaupt nicht stören lassen.
    ›So, jetzt einmal Ruhe und aufpassen, Herr Wir-wollen-die-Laufzeit-deutscher-Kernkraftwerke-verlängern‹, hab ich ihn angeherrscht. ›Wie Sie natürlich sofort erkannt haben, befinden wir uns im Zwischenlager Gorleben. Übrigens, hübscher Name,
Zwischenlager
. Es freut mich, dass Sie so geschichtsbewusst sind als Vorstand einer Energiefirma, die eine gewisse einschlägige Vergangenheit hat. Herr Teyssen,
Ihnen
brauche ich nichts erklären, Sie wissen ja, über hundert Atommüllbehälter aus Deutschland und der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague lagern hier. Darüber hinaus wissen Sie, dass es so etwas wie sichere Atommülllager nicht gibt. Auch tief in der Erde verborgene Salzstöcke sind nicht optimal, weil instabil und Grundwasserkontakt. Diese scheiß Erde bewegt sich eben doch und leakt immer irgendwie. Und als wäre das alles nicht schon problematisch genug, kommt noch eine ungefilterte Lüftungsanlage hinzu. Da tritt verstrahlte Luft aus, wodurch schon jetzt, obwohl das Lager nur zu einem Viertel belegt ist, die Strahlenwertgrenze überschritten wird. So eine Scheiße aber auch. Ihnen, Herr Teyssen, als Vorstand von Deutschlands größtem Energiekonzern und glühendem Befürworter von Atomenergie, ist das natürlich völlig egal. Ginge mir wahrscheinlich ähnlich, bei einem Jahresgehalt von knapp fünf Millionen Euro. Deshalb schlage ich Ihnen Folgendes vor: Bleiben Sie noch ein Weilchen im Auto sitzen, ruhen Sie sich aus. Ich vertschüss mich inzwischen und irgendwann, spätestens in einer halben Stunde, sollten Sie dann doch einen kleinen Spaziergang im hier einzigartigen Gemisch

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