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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Ja, als große Verschiebung in Helens innerer Bewusstseinsstruktur hab ich die Situation damals gedeutet. Verstehen Sie? Es war zwar nur eine kleine Ecke ihres Gartens, die sie da freigegeben hat, aber diese Geste ist für eine große tektonische Bewegung gestanden. Ich bin an der Glastür gelehnt und hab die beiden bei der gemeinsamen Arbeit beobachtet. Ich war glücklich. Helens Loslassen hat auf mich eine befreiende Wirkung gehabt. Können Sie das nachvollziehen? Das ist jetzt nämlich wichtig, dass Sie die Symbolkraft dieses Hochbeets richtig einschätzen. Denn während Benno und Helen gehämmert, geschleppt und geschlichtet haben, hat die Erde ihren Lauf um die Sonne fortgesetzt, ungeachtet der Tatsache, dass sich vor meinen Augen eine Frau aus ihrer seelischen Starre löst. Verstehen Sie? Die Welt hat sich weitergedreht, aber Helen hat sich verändert. Ihr Anblick hat mich mit so viel Wärme und Zuversicht erfüllt. Jetzt hat sie es bald geschafft, hab ich mir gedacht. Jetzt wird sie es bald überwunden haben. Ich hab richtig gespürt, wie viel Energie von Helen ausgegangen und auf mich übergegangen ist. Sie hat auch mich
freigesetzt
, gewissermaßen. Ich hab die beiden im Garten weiterwerken lassen und mich voller positiver Kraft an ein Erdbeer-Vacherin gewagt. Kennen Sie Vacherin? Die süßeste Köstlichkeit, die man mit Erdbeeren anstellen kann. Na ja, sagen wir, fast. Jedenfalls hat an diesem Tag jede Kundin vor ihrer Stunde eine Portion weiß-rotes, verboten gutes Vacherin von mir bekommen. Und wissen Sie, was? So entspannt wie an diesem Tag ist noch keine vor mir gelegen. Sie müssen sich das so vorstellen: Helens Energie, die durch ihre Lockerung freigeworden ist, hat sich auf mich, auf ihre Erdbeeren und somit auf das Vacherin und in letzter Folge auf meine Kundinnen übertragen. Wohin die ihre positiven Schwingungen getragen haben, weiß ich nicht. Aber glauben Sie mir, heilsame Energie setzt sich fort!
    [...] Ach, alles Weitere war für mich gar nicht mehr so überraschend, sondern nur unausweichliche Folge des Heilungsprozesses. Unser Körper ist ja ein komplexes System, und wenn ein Element darin in Bewegung kommt, wirkt sich das zwangsläufig auf alle anderen Elemente aus. Auch außerhalb unseres Körpers. – Das ist Ihnen doch klar, oder? Dass wir alle miteinander verbunden sind? Oder? Dass kein Lebewesen für sich lebt? Das ist Ihnen doch klar? Denn falls nicht, müsste ich bei ganz anderen Dingen anfangen, um überhaupt eine gemeinsame Basis zu finden. Verstehen Sie?
    [...] Na okay, dann ist es ja gut. Das ist nämlich wichtig, weil ... [...] Na gut, ich hör ja schon auf. Wenn Sie mich verstehen, passt ja alles. – Also – Wo war ich? [...] Ach ja, die Hausversammlung. Die war, wie gesagt, für mich nicht weiter erstaunlich. Für die anderen natürlich schon. Vielleicht sogar für Helen selbst. Aber für mich nicht.
    »Zu viel Geld verursacht Hartleibigkeit, die in letzter Konsequenz zu Darmverschluss führen muss.« Das waren Helens Eröffnungsworte. »Wir leben in einer anal-retentiven Gesellschaft, daher müssen wir der sinnlosen Akkumulation von Geld, die nur Ungleichgewicht und Verstopfung schafft, entgegenwirken. Materie ist nur in Transformation von mikrobakterieller Zusammenarbeit wertvoll.«
    Alle acht Mieterinnen und Mieter sind zur Versammlung gekommen. Manche mit ihren Kindern. Wir sind in meiner Praxis gesessen. Helen hat einen Salat aus Erdäpfeln, Batavia und Fisolen gemacht, ich zwei Backbleche Kirschkuchen. Die Kraft im Raum war stark. Alle haben sich wohlgefühlt. Zu dem harmonischen Setting, das möchte ich nur anmerken, haben eine Komposition ätherischer Öle und natürlich die kosmische Strahlung beigetragen.
    »Was sollen wir mit den 70.000 Euro des Reparaturfonds machen?«, hat Helen gefragt und auf Vorschläge der Mieter gewartet. Es gab die Idee, am Dach eine Photovoltaikanlage zur Stromgewinnung oder ein Windrad zu installieren. Aber wir sind zu keinem Konsens gekommen. Es gab Bedenken hinsichtlich der Lärmbelästigung und der seltenen Erden. Sie wissen schon, ob es wirklich legitim ist, Mutter Erde aufzureißen und ihre Rohstoffe zu rauben, nur weil wir unseren Energieverbrauch steigern wollen. Der Einwand kam von Marianne, glaub ich. Also wie auch immer, wir haben uns darauf geeinigt, vorerst weitere Zahlungen in den Reparaturfonds auszusetzen.
    »Aber was machen wir mit dem Geld? Es ist nicht gut, es auf der Bank zu lassen. Die stellen nur Blödsinn damit

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