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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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rauskommen. Hast du dir schon mal deine Geschlechtsorgane angeschaut?« Toni schüttelte langsam den Kopf und war wieder einmal davon überzeugt, dass Sozialschmarotzer wirklich anders waren. »Und dann hat jede eigene Namen finden sollen.«
    »Die haben einen Schaden, diese Gemeindebaubewohner«, dachte Toni. Sie fand Helens Körperbenennungsspiel äußerst merkwürdig. Es erinnerte sie an Eltern, die ihre Kleinkinder unentwegt fragten: »Was ist das? Wie heißt das?«, und sich dabei auf die Nase tippten. »Naase, die Naase, wo ist die Naase?« Aber dass Helens Mutter das gleiche auch mit ihrer Mumu machte, wo man eigentlich nicht hingreifen durfte, war verdächtig.
    »Ich nenne meine äußeren und inneren Schamlippen
Dufflecoat
, weil sie so ausschauen wie ein Mantel. Meine Klitoris heißt
Baskenmütze
, wegen dem Zipfelchen. Und meine Scheide heißt
Nest
. Meinen Anus nenne ich
Nuss
, weil er so klein und runzelig wie eine Walnuss ist.« Helen übersprang, dass sich ihr Schließmuskel beim Stuhlgang so öffnete wie zwei Nussschalen. Sie konnte ohnehin bereits jetzt deutliche Abscheu auf Tonis Gesicht ablesen.
    »Das ist sicher nicht in Ordnung, was ihr da macht«, war Toni gewiss, die ihre Eltern noch kein einziges Mal nackt gesehen hatte.
    Helen überlegte kurz. »Was soll nicht in Ordnung sein?«
    »Dass du da unten alles angreifst und Namen gibst, das ist sicher nicht erlaubt.«
    »Ich darf mich nennen, wie ich will, und wenn ich Lust dazu habe, meine Hand Hansi zu nennen, dann sag ich Hansi zu ihr.«
    »Ja, zu deiner Hand schon, aber nicht zu deiner Mumu.« Toni fand Helens Erzählung ein bisschen abstoßend, aber sie weckte ihre Neugier. »Weißt du was? Ich brauche unbedingt Musikunterricht.«
    Toni meldete sich für die Flötenstunde an, die zeitgleich mit
Herstory
im Haus der Begegnung stattfand. Dafür musste sie ihrem Vater intensiv auf die Nerven gehen, doch Toni hatte es noch nie an Ausdauer gefehlt. Mit ihrer Mutter besorgte sie eine Blockflöte und das verordnete Musikbuch. Toni besuchte die erste Stunde, in der sie das eingängige Lernschema des Notenhefts entschlüsselte. Auf jeder Doppelseite wurde eingangs der Griff für den entsprechenden Ton und die dazugehörige Note grafisch dargestellt. Anschließend versammelten sich Musikstücke in ansteigenden Schwierigkeitsgraden bis zum Ende des Kapitels. Statt im Unterricht übte Toni fleißig abends in ihrem Zimmer, wo ihre Eltern ihren musikalischen Fortschritt live miterleben konnten. Die Flötenlehrerin sah sie nie wieder, dafür aber die hennagefärbte Leda. Toni stand eines Nachmittags bei
Herstory
und fragte sie, ob sie mitmachen dürfe.
    »Selbstverständlich, meine Liebe, komm und fühl dich wohl«, sagte Leda, drehte sich um und setzte sich mit ihrem weiten, bunten Rock und einer Bluse, die Einblick bis zum Busenansatz gewährte, auf ihren Meditationspolster. Helen zog Toni auf ihre Yogamatte und flüsterte: »Hast du keine Angst, dass die Flötenlehrerin was zu deinen Eltern sagt?« Sie war wieder einmal von Tonis Ungehorsam beeindruckt.
    »Nein, ich hab auf dem Abmeldeformular die Unterschrift meiner Mutter gefälscht. Warum sollte die Lehrerin was sagen?«
    »Du kannst die Unterschrift deiner Mutter fälschen?« Helens Anfrage richtete sich weniger an moralische Bedenken, sondern voller Bewunderung an Tonis handwerkliche Fertigkeiten.
    »Klar, geht ganz babysch«, wisperte Toni. Sie folgte den Anweisungen Ledas, setzte sich aufrecht hin, schloss die Augen und atmete tief in den Bauch. Helen neben ihr war aufgeregt und froh, nicht mehr alleine zu sein.
    »
Was
macht der?« Helen war sich ziemlich sicher, ein Missbrauchsopfer vor sich zu haben. Schließlich war sexuelle Nötigung ein heißes Thema in der Frauengruppe und alle Erzählungen hörten sich genauso an, wie die soeben von Toni vorgetragene.
    »Du weißt, dass er das nicht machen darf«, sagte Helen, nicht als Frage formuliert, sondern zum Wieder-ins-Gedächtnis-Rufen altvertrauten Wissens. So klar, wie auf den Sonnengruß der Krieger folgte, und kein Mensch einen anderen begrapschen durfte. Nicht ohne dessen ausdrückliche Genehmigung.
    »Was?«, fragte Toni, weil ihr offensichtlich doch nicht ganz klar war, was ihr Onkel nicht machen durfte.
    »Wenn er dir noch einmal die Hand aufs Knie legt, komisch atmet oder mit der Hand zum Zucken anfängt, dann schreist du laut ›Hilfe‹, trittst ihm gegen das Schienbein und rennst aus dem Zimmer.«
    Toni starrte Helen fassungslos an.

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