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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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sind
nie
erfunden. Eher neigen sie dazu, ihre Erlebnisse zu verdrängen und die Erwachsenen zu beschützen. Herr Strabeck, setzen wir uns zusammen, reden wir mit Toni. Ich fordere Sie auf ...«
    Frau Strabeck stand noch immer untätig mit den Händen vor ihrem Mund im Vorzimmer. »Sie fordern
mich
auf? Das schau ich mir an. Verschwinden Sie!« Herr Strabeck packte Leda, drehte ihr den Arm auf den Rücken und warf sie zur Tür hinaus. Helen, die in einigen Metern Abstand vor der Tür gewartet hatte, hörte noch, wie Herr Strabeck das Sicherheitsschloss von innen zweimal verriegelte.
    Leda nahm Helen ruhig bei der Hand. »Komm, meine Schöne, wir müssen was tun.«
    Fünf Tage später klopfte Leda an Helens Zimmertür. Ihre Tochter rührte sich nicht. Seit Ledas Jahren in der Kommune schätzte sie nichts so sehr wie Privatsphäre. Sie klopfte nochmals und öffnete die Tür einen Spalt, gerade so weit, dass ihr rothaariger Kopf durchpasste. Helen lag auf dem Bett und las Hanni und Nanni. »Schlechter Einfluss der Großeltern«, dachte Leda, die hatten ihr Enid Blytons Gesamtausgabe geschenkt. Leda machte wieder ihre schmalen Augen, die heute allerdings keine Blitze entsandten, weil sie sich ihr Mantra vorsagte: »Zulassen, einfach zulassen und vertrauen«.
    »Kommst du mit zu
Herstory
?«, fragte sie sanft.
    »Nein«, antwortete Helen, ohne das Buch von ihrem Gesicht zu nehmen.
    »Traurig?«
    »Ja«, jetzt legte Helen das Buch doch zur Seite. »Seit Freitag hab ich Toni nicht mehr gesehen. Hab ich was Falsches gemacht?«
    »Darf ich reinkommen?«, fragte Leda und Helen nickte. Sie setzte sich auf Helens Bett und streichelte über ihren Handrücken. Der Zeigefinger ihrer Tochter steckte zwischen den Seiten von Hanni und Nanni. »Du hast genau das Richtige gemacht. Hast nicht weggeschaut, sondern den Hilferuf von Toni gehört. Es war deine Aufgabe, zu reden. Meine Aufgabe war, die Meldung zu machen. Jetzt können wir nur noch warten, während die Behörden den Vorwürfen nachgehen. Wir haben auf den Lauf der Dinge keinen Einfluss mehr.«
    Helen fühlte sich nicht erleichtert. Ihr Brustkorb schnürte sich zusammen, bald würde sie ihre Rippen knacksen hören. Keinen Einfluss auf Vorgänge zu haben, die man ausgelöst hat, klang für sie nach wenig Überschaubarkeit. Aber Helen brauchte Überschaubarkeit. In ihrem Federpennal ordnete sie gespitzte Bleistifte der Farbe nach ein, in ihrer Schultasche schlichtete sie Bücher vor Hefte, ihr Zimmer räumte sie unaufgefordert auf – der Überschaubarkeit zu Liebe. Helen fand ihren Kopf, ihre Mutter, ihre Welt schon unübersichtlich genug. Wo immer möglich, versuchte sie Überschaubarkeit herzustellen. »Du meinst, wir haben alle unsere Aufgabe?«, fragte sie. Helen wollte ihre Aufgabe nicht, egal, wie die lauten würde. Und schon gar nicht, wenn sie Immer-alles-ausplaudern hieß. Das war eine unsympathische Rolle, bei der sie sich schlecht fühlte.
    »Ja, wir haben alle unsere bestimmte Aufgabe hier auf Erden«, sagte Leda, als säße sie bei
Herstory
im Lotossitz.
    Helen schaute ihre Mutter an, deren rote Haare wie Tomatenmark leuchteten. Helen imponierte Ledas Zuversicht. Sie hätte auch gerne auf körpereigene Selbstheilungskräfte, kosmische Strahlen und spirituelle Aufträge vertraut. Aber trotz langjähriger umfassender Ausbildung in Sachen Krafttier, Chakren und Chi zweifelte Helen, ob sie jemals Stärke aus sich selbst ziehen könnte. Sie befürchtete vielmehr, dass ihr keine Technik genügend Stabilität geben und sie immer zwischen Unsicherheit, Zweifel und Unverständnis taumeln würde.
    »Ja«, wiederholte Leda, »wir haben alle unsere Aufgabe. Wir müssen lernen, sie anzunehmen und auf unsere individuelle Art zu erfüllen. Selbstverständlich wirst du damit hadern, aber irgendwann hört dein Widerstand auf und du wirst erwachen.« Ledas leidend mitfühlende Stirn hatte sich so ernsthaft mit Falten überzogen, dass Helen fast schon wieder lachen musste. »Ich sag jetzt was, das dir total blöd und grausam vorkommen wird. Die Zeit, die du jetzt durchmachst, ist ganz wichtig für dich. Du wirst viel lernen, viele Erkenntnisse gewinnen. Oft sind die traurigsten, einsamsten und schmerzhaftesten Phasen im Leben auch die lehrreichsten.« Leda hoffte, damit Zuversicht gespendet zu haben.
    »Und wenn ich gar nichts lernen will?«, fragte Helen und heftete ihre Augen auf Ledas Gesichtszüge, damit ihr ja kein Zucken entgehen könnte.
    Leda schmunzelte leicht. »Das wird dir

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