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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Tiere im Zoo. Nur, dass Toni im Käfig saß.
    »Komm mich mal besuchen«, versuchte Helen wie so oft, Toni zu sich einzuladen. Sie gingen gemeinsam auf dem Schulweg heim, den einzigen Freiraum, den Toni sich erkämpft hatte.
    »Ich hab’s dir doch schon erklärt«, antwortete Toni genervt, »mein Vater will nicht, dass ich mit Sozialschmarotzern zusammenkomme.«
    »Ich hab meine Mama gefragt, und sie hat sagt, wir sind keine Sozialschmarotzer.« Helen verzichtete auf die umfangreichen Erläuterungen ihrer Mutter, die Mutmaßungen zu Herrn Strabecks geistigem Zustand eingeschlossen hatten. Sie hatte ihrer Mutter von Toni und deren seltsamen Eltern erzählt. Leda bot sofort an: »Der gute Mann soll ruhig zu
Herstory
kommen, dann zeigen wir ihm, wer hier asozial ist.« Abgesehen von den Kindern, deren Mütter in Hildes Frauengruppe waren, hatte Helen keinen Kontakt zu Altersgenossen. Toni war die Einzige. »Wir könnten spielen oder so.« Helen blickte verlegen zu Boden, weil sie gar nicht richtig wusste, was Mädchen außer Meditation, Bauchtanz oder Yoga sonst noch taten.
    »Hast du überhaupt Barbies?«, war für Toni die Freizeitgestaltung klar. Allerdings hatte sie bisher meist allein oder mit irgendwelchen Verwandten oder ihrer Mutter Barbie spielen müssen. Denn ihr mangelte es weniger an Puppen, sondern an Spielpartnerinnen.
    »Ja sicher.«
    »Wie viele?« Toni war eine beinharte Verhandlerin.
    »Eine.«
    »Nur so wenige?«
    »Meine Mama will nicht, dass ich mit Plastik spiele, außerdem beeinflussen Barbies mein Frauenbild negativ.«
    »Deine Mama spinnt.«
    Helen zuckte mit den Schultern. »Schon möglich, aber deine Eltern sind auch nicht normal.«
    Toni dachte nach. »Auch wahr.«
    »Was passiert denn, wenn sie dich mit mir sehen?« Helen durchblickte die Strabeck’sche Logik noch immer nicht, wollte aber unbedingt dahinterkommen.
    »Na ja, der Papa würde schreien, nehme ich an, weil ich ihn belüge. Und wahrscheinlich würde ich Hausarrest bekommen.«
    »Aber du darfst ja sowieso nicht raus.« Helen verstand es einfach nicht. »Und wenn du am Nachmittag mal zu
Herstory
kommst? Das ist wie Nachmittagsturnen. Vielleicht darfst du das?«
    Toni überlegte. »Dort ist deine Mutter, oder? Und was macht ihr da so?«
    »Also, na ja, ganz viel Verschiedenes.« Es war für Helen schwierig, über
Herstory
zu sprechen. Schon als Dreijährige hatte Leda mit ihr zuhause erste Atemübungen gemacht. Langsam waren sie zu Meditationen und Yogaübungen übergegangen. Schamanenreisen, Schwitzhütten und Transfigurationen waren für Helen so selbstverständlich wie Trommelseminare, Trance und gesteigerte Körperwahrnehmung. Helen hatte durch Ausdruckstanz, frei assoziiertes Malen und Töpfern sowie Stimmbildung ihr Bewusstsein vertieft. »Alles hängt vom Atem ab. Wir können tagelang ohne Wasser und Nahrung überleben, aber ohne Atem sterben wir binnen Minuten. Durch ihn werden wir mit göttlicher Energie versorgt«, hatte Leda ihrer Tochter eröffnet. Und Helen hatte rasch gelernt. Als sie vier war, hatten »aufschauender und abschauender Hund« nichts mehr mit Haustieren zu tun, waren »Krähe«, »Kobra« und »Baum« geläufige Asanas, die sie perfekt meisterte. Mit fünf konnte sie mittels Atem und Konzentration ihren Geist von belastenden Gedanken befreien. Wenn andere Kinder Angst verspürten, machte sie eine Reise an ihren Kraftort. Wenn andere Kinder unruhig wurden, sang sie »Om – shanti – shanti – shanti«. Helen war Ledas bestbetreute Kursteilnehmerin, die auch außerhalb ihrer Gruppe Lektionen erhielt. »Oft sitzen wir im Lotos auf der Yogamatte – weißt du, was das ist?« Toni schüttelte verneinend ihren Kopf, aber Helen sprach weiter. »Wir schließen die Augen und atmen. Manchmal tanzen wir oder singen, wir hören Vorträge und lernen unseren weiblichen Körper besser kennen. Vor ein paar Wochen haben wir unsere Geschlechtsteile selbst benannt.«
    Das interessierte Toni allerdings sehr. »
Was
macht ihr?«
    »Mama hat wie irre eingeheizt und wie es ganz warm war, haben wir uns nackig ausgezogen.« Toni blieb stehen, um von dieser ungeheuerlichen Erzählung auch alles gut zu hören. »Jede hat einen Schminkspiegel mitgehabt. ›So, jetzt öffne deine Beine‹, hat Mama gesagt und es vorgemacht. ›Halte den Spiegel so vor deine Vagina, dass du sie gut sehen kannst.‹ Dann hat Mama erklärt, dass die äußeren Teile Schamlippen heißen, wo die Klitoris und der Scheideneingang sind, wo Harn und Kot

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