Die wilde Gärtnerin - Roman
hinein, stöhnte auf und ließ ein Bein schnell wieder aus dem Bett hängen, um Bodenkontakt aufzunehmen.
»Und? Wer dreht das Licht ab?«, fragte Leo. Von Toni waren nur noch Laute des Unwohlseins zu hören. Leo stand auf, drehte das Licht ab, kroch zurück ins Bett. Er hatte sich noch nicht wieder zugedeckt, da wurde Tonis Stöhnen lauter und kehliger. »Is mir schlecht!«, rief sie und taumelte durch die Dunkelheit ins Bad. Sie würgte fünf Stunden Bargeschehen aus sich heraus. Nachtleben quoll ihr aus dem Mund, ein Schwall Gespräche, Gesichter, Blicke, geflüsterte Worte, zuletzt noch Rotwein und süße Cocktails.
Helen gab ihre meditative Atmung auf und schaltete stattdessen die Nachttischlampe ein. »Mir reicht’s, das ist kein Urlaub. In Barcelona nehmen wir getrennte Zimmer«, sagte sie.
»Wir wollten doch in eine Jugendherberge?«
»Dort wird’s ja wohl auch Doppelzimmer geben. Is mir egal, was das kostet, aber ich kann mit der Frau nicht zusammenwohnen, ich halte sie nicht aus.« Helen lag enttäuscht in ihrem Bett. Sie hatte geahnt, dass diese Reise nicht gutgehen würde. Nun bewahrheitete sich ihre Befürchtung. Sich darauf einzulassen, war reine Dummheit und Verleugnung der Tatsachen gewesen. Toni und sie hatten kaum noch Gemeinsamkeiten, das musste sich Helen eingestehen.
»Die will halt keinen Pärchenurlaub, ist doch verständlich. Sie ist lebenshungrig und wir sind, na ja, in ihren Augen sind wir fad.«
»Du redest, als wärst du ihr Vater. Ich fühle mich gerade ungeheuer alt, wie ein Segelschiff, das so sehr in sich ruht, dass sich konzentrische Kreise um seinen Rumpf bilden.«
»Helen, du warst noch nie eine mit acht Knoten Rückenwind. Das würde doch gar nicht zu dir passen. Und zu mir auch nicht.«
»Ja, eh«, sagte sie verärgert. »Ich hätte mich von Toni nicht überreden lassen sollen. Interrail ist nichts für mich.« Aus dem Bad kam nur noch Stille. »Lebst du noch?«, rief Helen über ihre Schulter, erhielt aber keine Antwort. »Herrje«, schnaufte sie, schwang ihr Leintuch von sich und ihre Beine aus dem Bett. »Toni? Alles in Ordnung?« Helen lugte vorsichtig ins Bad. Toni hatte die Klomuschel liebevoll umarmt, ihren Kopf auf die Klobrille gebettet und schlief. »Ein Klassiker«, sagte Helen. »Sollen wir ein Foto machen?«
Barcelona war erdrückend heiß, Tonis Geschwindigkeit jedoch unbeirrt. Diesmal versuchten Helen und Leo mitzuhalten. Gaudí-Park, Gaudí-Kirche, Gaudí-Häuser. Dazwischen Pausen am Strand. Am Abend waren alle drei bester Laune. Sie wateten knöcheltief durch Dreck und verschütteten Cava in einer vollgestopften Bar. Trunken von süßem Sprudelwein und satt von köstlichen Bocadillos, war Helen erstaunt über den Barmann, der trotz herrschenden Chaos’ den Überblick bewahrte. »Unwahrscheinlich«, kreischte sie und versuchte die laute Musik zu übertönen, »wie kann sich der merken, was jeder bestellt hat? Hier sind doch gefühlte fünfhundert Menschen!«
Leo schlang seine Arme von hinten um sie. »Weil egal ist, was man bekommt. Hauptsache, Alkohol. Es muss
viel mehr
getrunken werden! « Seine Zunge tat sich bereits schwer, Worte zu formen. Helen lachte über ihn, die Menschenmassen in diesem Lokal und den abartigen Geräuschpegel. Toni quietschte neben ihr auf. »Never mind. Don’t even bother!«, schrie sie einem blonden Wuschelkopf ins Ohr, der ihr zuvor den Inhalt seiner Sektschale in den Nacken gegossen hatte.
»Sorry, I’m so sorry«, sagte der Blonde und wischte mit seinem T-Shirt an ihrem Rücken herum.
»Oh, please continue with that, it’s very comfortable«, sagte sie.
Der blonde Franzose stellte sich als Paul vor und blieb für den Rest des Abends Tonis Gesprächspartner. Oder ihr Spielzeug, wie Helen und Leo fanden. Sie hatten sich in Barcelona getrennte Zimmer genommen, weshalb sie dem libidinösen Verlauf des Abends gelassen entgegenblickten. Falls Tonis Spielzeug ihr auch tagsüber zur Verfügung stehen würde, könnte sogar der Gruppenzwang aufgehoben werden, spekulierten sie. »Auf eine entspannte Weiterreise«, prostete Helen Leo zu, wurde angerempelt und schüttete sich ihren Cava in den Ausschnitt. Sie lachte wie verrückt, weil ein blödes Gedränge genügte, damit sie sich wieder besser fühlte.
In der Nacht riss ein dumpfes Poltern im Nebenzimmer Helen aus dem Schlaf. Toni war nachhause gekommen. Wie lautstark zu hören war, in Begleitung. Mit konstanter Regelmäßigkeit hämmerte drüben das Stockbett an die Wand
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