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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Nachbarin steht vor mir. Es ist fast der gleiche Anblick wie von meiner Wohnung aus, nur stehe ich diesmal mitten im Geschehen. Sie hat das Recht, hier zu sein, ich weniger. Hebe meine Hand, zeige zu meinen Fenstern, hinter denen ich das Recht hätte, zu sein und sage: »Ich bin Ihre Nachbarin von gegenüber.«
    »Was suchen Sie dann hier?«, fragt sie, und ich weiß keine Antwort.
    »Ihr Fenster steht schon seit Tagen offen«, fällt mir ein, »ich habe befürchtet, Ihnen ist was zugestoßen.«
    Sie verzieht fragend das Gesicht, neigt sich leicht nach rückwärts, um kurz einen Blick ins Wohnzimmer auf das offene Fenster zu werfen. Ihre Kleidung ist dieselbe wie immer. Unter der geöffneten Jacke kann ich die Aufschrift ihres Shirts lesen.
Mother’s finest
steht im Halbkreis auf ihrem Oberkörper. Ihre kurzen erdäpfelfarbenen Haare liegen eng am Kopf an. Sie lässt mich keinen Moment aus den Augen. Wahrscheinlich denkt sie darüber nach, in die Küche zu laufen, ein Schlachtermesser zu holen, mich abzustechen. Wundere mich, weshalb sie nicht gleich mit einem auf mich losgegangen ist. Ich würde das bei einer fremden Person in meiner Wohnung tun. Sie hat allerdings nicht wissen können, dass ich in ihrem Schlafzimmer aus dem Fenster schaue.
    »Ich wohne da drüben und schaue öfter zu Ihnen herüber. Also nicht zu Ihnen speziell, sondern auf die gegenüberliegende Hausfront. Und auf die Straße. Mir ist aufgefallen, dass Ihr Fenster offen steht.«
    »Du hast wohl viel Zeit.«, duzt sie mich, was ein gutes Zeichen ist, finde ich. Es macht die Wahrscheinlichkeit, dass sie ihr Schlachtermesser holt, unwahrscheinlicher.
    »Wie heißt du?«, fragt sie und wirft ihren Rucksack neben ihr Bett.
    »Helen Cerny«, antworte ich wahrheitsgemäß.
    »Du hast viel Zeit, ein Observationsfaible und spazierst gern in Wohnungen fremder Leute.« Und sie hat einen Hang zu rascher Analyse.
    Bin vertraulicher, als mir lieb ist: »Ich hab mir Sorgen gemacht, du liegst in deiner Wohnung und brauchst Hilfe.«
    Wieder diese ungläubige, fragende Grimasse auf ihrem Gesicht. »Komm rüber.« Sie winkt mich ins Wohnzimmer an den Tisch. Sie geht voran, wendet mir ihren Rücken zu. Gelte für sie scheinbar nicht mehr als Gefahrenquelle. So schnell harmlos zu wirken, beleidigt mich fast. Hätte ich sie in meiner Wohnung angetroffen, wäre ich noch nicht beruhigt. »Setz dich«, bietet sie mir einen Platz beim Tisch an. Komme ihrer Aufforderung nach. »Willst du Wasser?«, fragt sie und geht in die Küche.
    Ich verneine. Sie kommt mit einem Glas in der Hand zurück und setzt sich zu mir. Sie hat grüne Augen, ebenmäßige helle Haut, eine feine Nase und gerade Zähne. Aus der Nähe ist sie mir noch sympathischer als von gegenüber. Lächle sie an.
    »Ich heiße Berta.« Sie verschweigt mir ihren Nachnamen.
    »Oh, nach Bertha von Suttner? Der Pazifistin und Friedensnobelpreisträgerin?«, erlaube ich mir eine spontane Assoziation.
    »Nein, Helen Cerny, eher nach der
Dicken Berta
. Dem beliebten Geschütz, das im Ersten Weltkrieg Festungsanlagen zertrümmerte.« Sie beobachtet, was ihre Worte bei mir auslösen → Irritation und Stirnrunzeln. Wir geben uns trotzdem die Hände. »Du siehst«, setzt sie fort, »ich liege nicht tot am Wohnzimmerboden, und meine Tür versperre ich auch nicht. Da ich das auch weiterhin nicht machen möchte, ruf doch bitte vorher an, wenn du dich künftig um mein Wohlergehen sorgst.« Sie schnappt sich einen Zettel vom Tisch, notiert eine Handynummer und schiebt ihn mir zu.
    Nehme ihn und nicke Einverständnis. Überlege, ob ich ihr meine Nummer geben soll. »Willst du dir vielleicht einmal deine Wohnung von der anderen Seite aus anschauen? Ist interessant«, frage ich. Sie lehnt dankend ab. Stehe auf, gehe zum Ausgang, sie kommt mir nach und öffnet mir die Wohnungstür. »Wiedersehen, Berta«, sage ich. Sie schließt die Tür hinter mir.
    Möchte nicht gleich in meine Wohnung und zu Berta schauen, oder von ihr gesehen werden. Verschnaufe kurz in meinem Garten. Sitze so lange auf der Parkbank, bis mein Puls ruhiger und mir kühler wird. Merke erst jetzt, wie verschwitzt ich unter den Achseln bin. Die Anspannung fällt langsam von mir ab. Gehe zu mir hinauf. Halte mich zwar dazu an, kann mich aber nicht beherrschen: Schaue sofort aus dem Fenster zu Berta hinüber. Bei ihr ist alles leer. Kein Licht brennt. Das Fenster, das vier Tage offen stand, ist zu.
    10.1.
    Schaue nach dem Aufstehen aus dem Schlafzimmerfenster. Sehe

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