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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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nichts anderem auf der Welt, als zum Scheißen. Wir essen Früchte, Kräuter, andere Tiere und verwandeln sie in Scheiße. Das tun wir Tag für Tag, bis wir sterben.‹ Natürlich entstand ein großer Tumult um das Feuer. Speziell Hanik, ein geschickter Jäger, fühlte seinen Beitrag zum dörflichen Leben von Moihas philosophischer Ansage geschmälert. ›Na, Moment‹, sagte er, ›zunächst musst du essen, zum Beispiel einen meiner fetten Hirschen, dann erst kannst du abkoten.‹ ›Falsch‹, widersprach Moiha, die langsam in Leidenschaft über ihre Theorie geriet. ›Nicht zum Essen sind wir auf der Welt, sondern zum Scheißen. Bisher haben wir uns fälschlicherweise auf den Beginn der Nahrungskette konzentriert. Fressen und gefressen werden ist jedoch der falsche Fokus, der nur Leid und Elend ins Auge fasst. Die Gewichtung muss auf der Bereitstellung von Exkrementen liegen. Das ist unsere göttliche Aufgabe, der wir unser gesamtes Tun und Denken in tiefster Friedfertigkeit widmen sollten. Denn mit unseren Ausscheidungen stellen wir uns dem Tod und überwinden ihn. Unsere Fäkalien zeigen uns, dass Tod eine Illusion, ein Konstrukt ist. Unsere Scheiße ist veredeltes Material unserer einzigartigen Persönlichkeiten, aus ihr erwächst üppiges Leben.‹ ›Jedes Tier hat seine Losung‹, warf ein anderes Stammesmitglied ein, ›daran kann ich nichts Außergewöhnliches finden. Aber wir malen Ornamente an Baumrinden, wir gestalten Masken und schmücken uns für unsere Feste. Betrachtest du das alles als wertlos?‹ – ›Nein, hier darf nicht in hierarchisch-linearen Wertigkeiten gedacht werden. Vielmehr dient mannigfaltiger menschlicher Austausch allein dazu, qualitativ hochwertigen Humus zu produzieren. Die Leistungen unseres Geistes lassen unseren Kot reichhaltiger werden. Jede und jeder von uns erzeugt ihren individuellen Scheiß, der sich über die Lebensalter und Umstände hinweg verändert. Was könnte es Wertvolleres geben?‹ Ich merke hier an, dass die Bewohnerinnen und Bewohner von Moihas Dorf beste Voraussetzungen für ihre Kotproduktion vorweisen konnten: Freilandhaltung, ausgewogene Ernährung, unbehandelte Lebensmittel, viel Bewegung, frische Luft, kein Stress oder Autoverkehr. Jedenfalls war Moiha von ihrer Rede überzeugt, sie glühte vor Begeisterung, auch wenn sich der Rest des Dorfes in betretenes Schweigen hüllte und bald in diverse Hängematten zurückzog.«
    Helen ließ sich wieder auf den Rücken rollen und schloss die Augen, um noch besser in das Amazonasbecken eintauchen zu können. Leo richtete sich auf, stützte sich auf seine nach hinten gestreckten Arme und ließ seine Beine verschränkt.
    »Am nächsten Tag traf Moiha auf ihrem Weg Hanik, den Jäger.›Na, wollen wir an den Fluss gehen? Ich hab dort eine Lichtung entdeckt, auf der würde ich dich gerne besteigen‹, fragte er in der für sein Dorf üblichen charmanten Redeweise. ›Wozu denn?‹, war Moiha noch gekränkt wegen Haniks Angriff vom Vortag. ›Käme es zu einer Befruchtung, wäre unser Kind in deinen Augen eine verachtenswerte kleine Scheißerin, solange sie nicht jedes Tier, das sich im Wald bewegt, totgepfeilt hätte. Du würdest dieses perfekte Lebewesen so lange mit sinnlosen Leistungsforderungen fertigmachen, bis es an Verstopfung, Darmverschluss oder Morbus Crohn litte. Danke, auf diese Zukunftsaussicht verzichte ich.‹ Da packte Hanik seinen Köcher und pirschte weiter nach Rotwild, während Moiha intensiver über ihre Theorie nachdachte.« Helen rollte näher an Leo heran, legte ihren Oberschenkel auf seinen verschränkten Beinen ab und bog den Oberkörper nach hinten auf die Liegedecke.
    »Jaja, das gefällt dir, wenn starrsinnige Beerensammlerinnen wilde Jäger in ihre Schranken weisen, aber hör weiter. Moiha kam über ihren Gedanken brütend vor der stinkenden Senkgrube des Dorfes zu stehen. In diese Grube wurde zwölf Monde lang geschissen, danach schüttete man sie mit Erde und Blättern zu, steckte einen Ast in die Mitte und betrat den Ort nie wieder. Frag mich nicht, warum, plötzlich hatte Moiha eine Idee. Von einer Töpferin des Dorfes holte sie sich ein Gefäß mit Deckel und ging damit zu einer Stelle im Wald, an der außer Flechten und groben Steinen nichts wuchs. Dort hob sie eine Grube, groß genug für den Tontopf, aus und setzte ihn in die mäßig fruchtbare Erde. Nach vollbrachter Arbeit kackte sie hinein, streute etwas Holzkohle nach und setzte den Tondeckel darauf. Das tat sie jeden Tag, bei

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