Die wilde Gärtnerin - Roman
gewartet zu haben und will ihr den Hörer aus der Hand nehmen. Aber Toni nimmt nur Anlauf für den Paukenschlag. »Er möchte die Sache, die Sache, hat er gesagt, klarstellen, möchte mich nicht im Ungewissen lassen, er habe da einen Fehler gemacht, wobei nicht ich der Fehler war, sondern er hat Grenzen überschritten. Ich hab ihn überhaupt nicht verstanden. Benno, hab ich gesagt, Benno, was ist los? Wie können Menschen Fehler sein? Meine Güte, ich war so blöd! Aber wer denkt denn an so was? Ist es aus?, hab ich ihn gefragt. Willst du mir sagen, dass es aus ist, oder was? Dann war kurz Stille. Er unterliege noch immer der Verschwiegenheitspflicht, hat er gemeint, auch wenn sein Auftrag abgeschlossen sei. Er sei strikt nach Weisung vorgegangen, aber bei mir habe er eindeutig einen Fehler gemacht. Er möchte sich dafür entschuldigen.« Toni schaut mich an, den blöden Hörer neben ihrem Gesicht, die Scheibe zwischen uns.
Zucke mit den Schultern, weil ich nicht weiß, was Toni von mir erwartet. »Wofür?«, frage ich. »Für Sex mit dir? Oder dass er nicht gleich angerufen hat?«
»Helen, er hat sich bei uns eingeschlichen. Zum Zweck der Ermittlung, wie er sich ausgedrückt hat. Wir sind von ihm bespitzelt worden.«
Könnte auf der Stelle im Gefängnisboden versinken. Geniere mich ungeheuerlich, diesem Menschen über den Nacken geleckt zu haben.
»Ihre Besuchszeit is aus. Wenn S’ bitte Ihr Gespräch beenden«, sagt die Wächterin. Toni lässt sich den Hörer aus der Hand nehmen und steht auf. Sie deutet mir, bald wiederzukommen und wird aus dem Raum geführt.
Sitze zutiefst getroffen vor der leeren Glasscheibe und frage mich einmal mehr, was hier abgeht. Was hat sich hinter meinem Rücken und vor meinen Augen abgespielt? Und warum habe ich nichts bemerkt?
+++ Attentäterin noch immer nicht geständig – Ermittler fahnden nach Netzwerk hinter Wirtschafts-Terroristin +++ Standard & Poor’s stuft Frankreich ab. Deutschland bekommt negativen Ausblick. Schlechtes Rating für Österreich +++ Bundesregierung plant weiteres Sparpaket +++ Finanzmarkt auf Talfahrt +++
2006
Es war ihr Haus. Helen hatte ihren Namen neben dem Wort »Eigentümer/in« im Grundbuch gesehen, aber kein Gefühl außer Ungläubigkeit dazu gehabt. Nun stand ihr Haus rundum saniert, dreistöckig, in der Häuserzeile der Lerchengasse im 8. Wiener Gemeindebezirk und Helen war stolz darauf. Sie ging die Einfahrt entlang, unter ihren Füßen die neue Pflasterung, über ihr der Hall ihrer Schritte im weiß gekalkten Tonnengewölbe. Ihre Hand glitt die kühle, trockene Wand entlang. Wie hatte das hier noch vor einigen Monaten ausgesehen? Aufgerissene Gräben waren von der Decke zum Boden verlaufen. Darin Kabel in unterschiedlicher Dicke, die Strom, Gas, Wasser führten und letztendlich hinter Spachtelmasse und Farbe verschwunden waren. Die neu verglaste Tür zum Garten, abgeschliffen und gestrichen, stand offen. Helen freute sich über zaghafte, aber vielversprechende Wachstumserfolge. Verschlafene Bienen und Hummeln summten um kürzlich ausgesäte Kornblumen, Ölrettich, Malve, Dill. Die Blumenwiese betörte nicht nur Insekten, sondern ließ gemeinsam mit frischen Gräsern einen Duft in Helens Nase steigen, der ihr die Lungenflügel weitete. Die Ziegelmauer, die den Garten begrenzte, war nur an jenen Stellen ausgebessert worden, die völlig zusammengebrochen waren. Statt neuen Mauerwerks hatte Helen Steine und durchlöcherte Holzscheiben als Brutstätten für Wildbienen und Solitärwespen mit Lehm und Mörtelresten verfugt. Zarte Triebe wilden Weins rankten sich die Mauer im schattigen Teil des Gartens empor. In der Sonne blühte bereits eine rote Kletterrose. Es war später Frühling. Kräutergarten, Gemüsebeete, neu gesetzte Obstbäume schauten noch völlig harmlos aus. Nur der alte Nussbaum breitete seine Äste standhaft über den nackten Kreis unter sich aus. Bei Helens erstem Besuch waren die zirka 500 Quadratmeter an der Rückseite des Gebäudes verwildert und mit kahlen Erdstellen übersät gewesen. Der Nussbaum, der dringend ausgedünnt werden musste, wirkte verloren und verlassen. Erst der Anblick von Verwahrlosung hatte Helens Verantwortungsbewusstsein geweckt. Dieser trostlose, pflege- und hilfsbedürftige Flecken war ihr Besitz, für den sie sich plötzlich zuständig fühlte.
Ein Jahr hatten die Umbauarbeiten gedauert. Helen hatte zwar Baufirmen beauftragt, aber Leo und sie arbeiteten auch kräftig mit. Garten und Hof hatten
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