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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Berta am Tisch vor ihrem Laptop sitzen. Neben dem Laptop ein Häferl. An dessen oberem Rand hellbraune Flecken. Nehme an, sie ist Kaffeetrinkerin. Sie trägt wieder weite Hosen, heute in Khaki und ein langärmeliges T-Shirt. Ihre Augen haften konzentriert am Bildschirm. Ruckartig, als hätte es ihr Bildschirm befohlen, schaut sie zu mir herüber. Winke ihr ertappt zu und lächle. Sie winkt zurück.

FORTSETZUNG VERHÖRPROTOKOLL, 24. JULI 2012
    [...] Nein, danach hab ich nichts Ungewöhnliches an Helen bemerkt. Sie ist zuhause geblieben wie sonst auch. Ich glaube, ich hab noch ein paar Mal versucht, sie zu Ausflügen zu motivieren, aber das ist von ihr wie üblich abgeschmettert worden. Ich hab das dann aufgegeben. Ich bin in mich gegangen und hab gespürt, dass ich das sein lassen soll. Dass ich mir abgewöhnen soll, sie immer zu irgendetwas überreden zu wollen. Sie wird von selbst auf dich zukommen, hab ich mir gedacht. Wenn sie nach Veränderung strebt, wird sie schon kommen. Und so ist es ja auch gewesen.
    [...] Insgesamt hab ich den Eindruck gehabt, dass es ihr besser geht. Aber ich hab damals noch nichts Gravierendes bemerkt. Gut, ich war zu der Zeit auch etwas intensiver mit einem Mann beschäftigt. – Also, ich war wohl ziemlich abgelenkt, denn rückwirkend muss ich sagen, sie war seit letztem Winter schon aktiver. Aufgekratzter irgendwie. – Jetzt hab ich die richtige Bezeichnung, sie war mehr
nach außen hin orientiert
, genau, das war der Unterschied. Seit der Sache mit Leo hat sie nämlich komplett zugemacht. Sie hat vor dem Leben resigniert. Ich war ja immer schon der Überzeugung, dass das nur eine Phase ist. Helen braucht eben Zeit für ihre Heilung. Obwohl sie selbst einmal gesagt hat, seit Leos Tod erwarte sie nichts mehr vom Leben. Also für sich. Verstehen Sie? Sie widmet sich ihrem Garten und ihrer Scheiße, und aus. Sie will nichts weiter. Zurückgezogenheit, Einsamkeit, das wertet sie durchwegs positiv. Meinem Empfinden nach ist das reine Überlebensstrategie. Irgendwann, bin ich sicher, wird sie diesen Selbstschutz überwinden. Vielleicht hat sie ihn ja sogar schon hinter sich gelassen, wer weiß.
    +++ Volksbankenrettung: Staat haftet mit 13 Milliarden +++ Zahl der Privatpleiten verdreifacht sich auf 10.000 +++ Wohnen und Sprit halten Inflation auf 2,8 Prozent +++ Miniwarenkorb kostet um 4 Prozent mehr +++ Ex-IWF-Chef sieht sich als Verschwörungsopfer +++ Prozess gegen Waffen-Lobbyisten bereits im Herbst +++

1939
    »Scho’ wieder Krieg? Es kann do net scho’ wieder Krieg geben. Ja san denn olle wahnsinnig! Ham die in die letzten zwanzig Johr olles vergessen?«, hatte Amalia Panticek gefragt, als der kleine Mann mit der verkrampften Körperhaltung im offenen Mercedes über den Heldenplatz fuhr. Sie selbst hatte nichts vergessen. Nicht den Hunger. Nicht die langen Warteschlagen für rationierte Butter. Nicht das Gedränge und die Rangeleien unter den wartenden Erwachsenen. Und daran, wie ihr Vater taub und halb verhungert aus dem Krieg zurückgekommen war, konnte sie sich auch erinnern. »Als Kanonier braucht ka Kanonenkugel auf di drauffallen. Du stehst afoch nem’an Geschütz, zündst es und es zerreißt da des Trommefö«, hatte ihr Vater gesagt. Er hatte nie wieder die Stimme seiner Tochter gehört, so wie alles andere auch nicht. Damals hatte sich bei Amalia die einfache Einsicht, dass Krieg »fürn Oarsch is«, nachhaltig ins Gedächtnis gebrannt. Doch scheinbar hatten einige klügere Köpfe ein weniger gutes Erinnerungsvermögen als sie. Denn wenige Monate nach dem Anschluss überreichte ihr Josef Panticek, ihr Ehemann, ein Blatt Papier, das nach nichts aussah, aber sein Leben bedeuten konnte.
    Josefs Marschgepäck lag auf dem Küchentisch. Amalia saß daneben auf einem Sessel und schaute auf Josefs Einberufungsbefehl. »17 Uhr, Ostbahnhof«, mehr konnte sie nicht lesen. Sie wippte mit den Beinen. Ihre zweijährige Tochter Erna, die auf Amalias Schoß saß, wurde auf und ab geschaukelt.
    »Es wird schon gut gehen«, sagte Josef.
    Nix wird gut gehen, war Amalia überzeugt. Wenn Krieg ist, dann ist schon alles schlecht gegangen, was schlecht gehen kann. Da kann gar nichts mehr gut gehen, bis der Krieg wieder vorbei ist. Und dann wird es erst recht schlecht, dann kommt der Hunger. Ihr Mund wollte Halbsätze stammeln. »Geh ned. Bitte, geh ned«, und »bitte, pass auf di auf.« Aber vernünftig wie Amalia war, sagte sie nichts. Denn solche Blödheiten, die nichts brachten, die nichts

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