Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
Vom Netzwerk:
Bett und löste sich genau wie ihre Knochen langsam auf. Als verdampfte sie in ihrer Wohnung, ginge in der Atmosphäre auf, weil sie anders ihrem Bett nicht mehr entfliehen konnte.
    Magda schaute ihrem Zeigefinger zu, der die Asche ihrer Zigarette am Aschenbecher abklopfte. Dann machte sie einen neuerlichen Zug und blickte wieder auf ihren Bruder. Der ließ den Löffel kurz im Erdäpfelgulasch stecken und nahm einen Schluck von seinem Krügerl. Er war in der Wirtschaftskrise lange arbeitslos gewesen. Ab und zu hatte er tageweise Beschäftigung gefunden, mehr oder weniger legalen Ursprungs. Seit damals kam er zu Magda und Franz ins
Wirtshaus zum Lerchenfeld
essen. Magda fühlte sich ihm verpflichtet, schließlich verdankte sie ihm ihr Überleben. Sie war froh, sich bei ihm revanchieren zu können.
    In der Wohnung oberhalb der Gaststube hörte Magda Anton rumoren. Sie wunderte sich, dass ihr Sohn so lange alleine blieb. Seit Franz weg war, hing Anton beinahe ständig an ihr.
    »Wenigstens das G’schäft geht gut, sonst würd ich eh durchdrehen«, sagte Max mit vollem Mund.
    Magda inhalierte tief, ließ den Rauch lang in ihren Lungen, stieß ihn Richtung Decke aus. Sie wusste, dass »das G’schäft« für ihren Bruder sehr gut lief. Seit Österreich sich an Hitler-Deutschland angeschlossen hatte, war es mit Max stetig bergauf gegangen. Nicht nur wegen der Hasen, die Max schon wieder in Tierkäfigen stapelte. Auch nicht wegen der zusätzlichen Hühner, die dem Oeuvre seiner Wohnung eine weitere Gewürznote verliehen. Seiner umgänglichen Art, wie er es nannte, und seinen Kontakten zur NSDAP verdankte er seine Anstellung als Rettungsfahrer beim Roten Kreuz. Dadurch war er kriegsdienstbefreit. Außerdem hatten ihm seine Beziehungen eine neue, möblierte Wohnung für sich, Irma und seine Käfige beschert. Eine ehemals jüdische Wohnung. Max kam in Kriegszeiten wesentlich besser zurecht als die meisten in juristisch geregelten Verhältnissen. Magda hasste ihn dafür. Aber sie hatte von ihrem Mann gelernt, was sich für eine Wirtin geziemte: still bleiben und Obstler nachschenken. Sie füllte ein Stamperl und brachte es ihrem Bruder.
    »Danke«, sagte er. Sie drehte sich um, setzte sich wieder auf die Budel und rauchte.
    »Ein Wirt is keine moralische Instanz, der hat den Leuten keine Vorträge zu halten. Beim Wirten soll man sich wohlfühlen«, waren Franz’ Worte. Aber dass Max sich auch noch mit seiner Nachbarin vergnügte, während nebenan Irma in ihrem Bett verfaulte, das war Magda zu viel. Sie hätte ihrem Bruder, in der Überzeugung, eine gute Tat zu begehen, gerne den Hals umgedreht. Genauso wie er das bei seinen Hasen machte. Ein kurzer, beherzter Ruck und die Verlogenheit hätte ein Ende. Aber Magda kam ihre Dankbarkeit in die Quere. Dankbarkeit, weil er sie durchgefüttert hatte. Im Krieg und danach. Weil er sich um sie gekümmert hatte. Weil er so etwas wie Normalität hergestellt hatte. Von der sie als Kind freilich keine Ahnung, aber eine diffuse Vorstellung hatte. Wie bei Märchen, wo man auch genau wusste, wie ein Königsschloss aussah, selbst wenn man noch nie eines betreten hat. Max war für sie da gewesen. Greifbar, verlässlich. Deshalb konnte sie ihm weder den Hals umdrehen noch Einspruch erheben. Sie sagte nichts zu ihm und nichts zu ihrer Schwägerin. Sie bewirtete Max anständig und hoffte, niemand würde etwas vom anderen erfahren. Leider war Magda realistisch genug zu wissen, dass
alle
Beteiligten
alles
wussten.
    Das Poltern auf der Stiege kündigte Anton an. Er riss die Tür auf, schrie: »Servus, Onkel Max!«, und drückte sein pausbäckiges Bubengesicht gegen Magdas Wange.
    »Hunger?«, fragte sie und steckte ihre Zigarette in eine Kerbe des Aschenbechers.
    »Ja«, meinte er, schenkte sich ein Glas Wasser ein und setzte sich damit zu seinem Onkel.
    Magda schmunzelte über Antons rotweiß kariertes Hemd, das er von seinen Verwandten aus dem Weinviertel bekommen hatte. Wie ein G’scherda schaut er aus, dachte sie, die Anton auf sein Drängen hin auch noch eine Lederhose gekauft hatte. Als sie einen tiefen Teller Erdäpfelgulasch vor ihn auf den Tisch stellte, strahlte er sie an. Dann stürzte er sich genauso gierig auf das Essen wie sein Onkel. Er war gern in ihrer Nähe. Sein Wohlsein hing proportional von der Entfernung zwischen ihnen ab. Speziell wenn die Sirenen Fliegeralarm plärrten und Antons Körper sich vor Todesangst verkrampfte. Wenn das Sirren der Bomben kurz vor ihrer Detonation zu

Weitere Kostenlose Bücher