Die wilde Gärtnerin - Roman
.
Berta sitzt drüben. Neben ihr ein Häferl. Vor ihr der Laptop. Sie schaut hoch zu mir. Diesmal winkt sie zuerst.
Bin ein paar Stunden im Garten. Lichte Kirsch- und Nussbaum aus. Ziemlich viele Zweige für Kompost. Müssen zerkleinert und untergehoben werden. Die körperliche Arbeit kurbelt gleich meine Darmtätigkeit an: weicher Kot mit kleinen Verästelungen und Rissen plumpst in meinen Tontopf.
Am Abend macht Toni Erdäpfelpüree mit karamellisiertem Fenchel.
16.1 .
Grüße Berta, und sie mich. Wird zum täglichen Ritual. Traue mich daher nicht mehr, stundenlang aus dem Fenster zu schauen.
Gehe in den Garten, streue reifen Kompost auf Gemüsebeete aus. Erst Mittag mit Rüben aus Vorratslager wieder rauf. Koche Rübenletscho für Toni und mich. Ganz in Ordnung. Toni ist noch besser gelaunt als üblich. Grund dafür ist ihr neuer
Schüler
, wie sie ihn nennt. Gestern hat in ihrer Praxis ein Tantra-Workshop stattgefunden, er hat sich dazu angemeldet und war sehr strebsam und wissbegierig (Zitat Toni). Ihr Bericht beim Rübenletscho: Kerzen, orangene Tücher (ob sie das Arrangement von Leda hat?), der Schüler und sie im Schneidersitz, nah beieinander, nackt, mit geschlossenen Augen, der Jüngling ganz aufmerksam, Finger ineinanderverschränkt, synchron geatmet, tiefer, immer intensiver, dann Erforschung der Körper. »Dankbar wie ein vor Trockenheit rissiger Boden beim ersten Tropfen warmen Regenwassers«, so Tonis Worte. Sie erzählt ausführlich, wie der Jüngling zu jauchzen beginnt und in ihrem Körper widerhallt (Zitat).
Möchte lieber nichts von ihrer »Freude unter die Menschheit bringen«-Aktion hören. Das Bild des ahnungslosen Jünglings, der verschwitzt und glücklich vor Tonis gespreizten Beinen hechelt, ist mir unangenehm. Kenne den Werdegang von Tonis Schüler durch etliche Vorgänger: Zunächst glaubt er, seinen Platz gefunden zu haben, hofft, Erfüllung an Tonis dunklem Haardreieck zu finden. Aber bald nach seiner Ekstase leitet ihn Toni an, seine Erfahrungen weiterzugeben, damit sich Freude und Glückseligkeit in der Welt fortpflanzen können. Er sträubt sich, es beginnt ein mehr oder weniger langer Trennungstanz, bis Toni ihn endlich wieder los ist.
»Toni, ich will das nicht hören, reden wir über was anderes«, sage ich. Mehr nicht. Auf einmal bricht ein Sermon aus ihr hervor. Sie habe meine Lebensfeindlichkeit satt, schreit sie, sie will mich nicht so dahinvegetieren sehen, ich sei früher die gewesen, von der sie
gelernt
habe, von der sie
beeindruckt
gewesen sei, und jetzt würde ich meine Fähigkeiten und mein Wissen nur vergeuden.
»Ich lasse alles in meinen Humus einfließen«, sage ich, was sie aber noch mehr reizt. Ich solle ihr bloß nicht mit dieser Scheiße kommen, ich würde mich dem Leben verschließen, eindeutig sei das.
Vielleicht war der Schüler von gestern doch nicht so lernwillig und sie muss ihren Frust an mir auslassen?
»Ich verschließe mich überhaupt nicht«, werde ich laut, »ganz im Gegenteil, ich öffne mich täglich und gebe mein Bestes. Mit meinen Exkrementen trage ich meinen direkten Teil zum Kreislauf des Lebens bei. Mehr Inklusion geht nicht!« Plötzlich fällt sie mir um den Hals und meint: »Ich will ja nur, dass es dir gut geht.« Versichere ihr, dass das der Fall sei, sofern sie mich mit Berichten von ihren Sexnachhilfestunden verschone. Mit »Okay, okay, wenn du glücklich bist. Ich bin auf dem Weg, das zu akzeptieren. Ich werde nichts mehr sagen« kommt Toni wieder in Balance → Sie findet ihre Mitte, um mit ihren Worten zu sprechen. Um zwei geht sie wieder in die Praxis zu ihrer nächsten Shiatsu-Kundin.
Hoffentlich stößt sie den Jüngling bald wieder ab, denn wenn der solche Gemütsschwankungen bei ihr auslöst, stehe ich das keine zwei Wochen durch.
17.1 .
Warmer, sonniger Tag. Lüfte die Wohnung. Gönne mir ausgiebige Beobachtung der Lerchengasse. Berta drüben anwesend. Sie steht mit ihrem Häferl beim Fenster. Schaut zu mir und winkt. Sie öffnet das Fenster und schreit: »Kann ich rüberkommen?«
»Gerne«, erwidere ich.
Erwarte sie beim Haustor. Berta wieder in Outdoor-Schuhen, hellgrüner Hose, langärmeligem Baumwollshirt. Bei ihrer Kleidung setzt sie wohl wirklich weniger auf Extravaganz als auf Wiedererkennung. Berta ist entspannter als bei unserem ersten Zusammentreffen → wahrscheinlich, weil sie diesmal darauf vorbereitet ist. Führe sie in den Garten. Merke, wie ehrfürchtig sie auf der Schwelle von der gepflasterten
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