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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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hören war, konnte Anton weder denken noch sich bewegen. Da half nur Magdas Hand in seiner.
    Magdas Zigarette im Aschenbecher war ausgeraucht. Nur der Filter steckte in der Kerbe. Sie nahm ihn, drückte ihn aus Gewohnheit trotzdem aus, zog die nächste Zigarette aus der Packung. »Wir müssen Wien verlassen.« Ihre Entscheidung stand fest. Bei einem Geschäftsfreund hatte sie gestern Feindsender gehört. Deutschland liege in den letzten Zügen, hatte es geheißen. Es sei überall ersichtlich. Die Front im Osten sei nicht haltbar, im Süden wären die Amerikaner auf Sizilien gelandet, im Westen vermehrte sich der Widerstand, und in Österreich gäbe es immer weniger Rückhalt, dafür immer mehr Hunger. Es gehe zu Ende, nur wisse niemand, wann.
    »Wir müssen Wien verlassen.« Magda würde die Wirtschaft schließen, sich bei allen Freunden und Geschäftsleuten verabschieden, ihren Hausrat packen und aufs Land ziehen. Wo Anton und sie sicher wären. Ins Weinviertel. Zu Franz’ Familie, die einen Dialekt redeten, den Magda kaum verstand. Wo sie keine Wirtin mehr war, keine Geschäftsfrau, sondern abhängig vom guten Willen ihrer angeheirateten Verwandten. Sie würde alles aufgeben müssen, um zu überleben. Schon wieder hatte nichts größere Bedeutung. Es ging ums Überleben. Wie eigentlich jeden Tag. Nur wurde das normalerweise übersehen, weil viele Kleinigkeiten vom Überlebenskampf ablenkten. Doch die Sirenen des Fliegeralarms erinnerten einen daran. Dann wusste man wieder, dass es nur ums Überleben ging.
    Erna wollte nicht gestört werden. Sie wollte in der Wohnung bleiben und mit ihrem Puppenhaus spielen. Trotzig setzte sie sich im Schneidersitz vor ihr kleines Anwesen. »Ich bleib bei meinen Puppenkindern«, meinte sie. Aber sie waren schon viel zu lange geblieben. Der Volksempfänger hatte vorgewarnt, und jetzt mahnten die Sirenen zur höchsten Eile. Amalia packte ihre protestierende Tochter, schulterte den kleinen Rucksack mit Wäsche und einigen Lebensmitteln und rannte zur Wohnungstür. Sie hörte den Pfiff, der jede Bombe ankündigte. Er wurde immer lauter.
    Die muss ganz nah sein, dachte Amalia, wobei das »ganz nah« mehr eine Unheil abwendende Beschwörung war. Denn das Sirren war so laut, dass Amalia die Bombe schon auf ihrem Hausdach detonieren spürte. Aber die Beschwörung half. Der Sprengkörper fiel auf das Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Die Druckwolke der Explosion war allerdings so stark, dass alle Fensterscheiben in der Wohnung zerbrachen, Amalia und Erna durch das Zimmer an die Tür geschleudert wurden, die Tür aus den Angeln riss und beide im Stiegenhaus landeten. Amalia sprang sofort auf, schnappte Erna und den Rucksack und stand im nächsten Moment vor der Kellertür. Sie hämmerte wie besessen darauf ein.
    Block- und Luftschutzwart Gruber machte einen Spalt breit auf. »Die Hausbewohner haben sich unverzüglich bei Ertönen des ...«, setzte er zu einer verzichtbaren Belehrung an.
    »Lass uns eine«, stieß Amalia ihn von der Tür weg und schob Erna in den Keller. Es kam lediglich zu keinem Wortwechsel zwischen ihr und Gruber, weil Frau Wolny plötzlich hinter ihnen stand. Die musste den Bombeneinschlag ebenfalls in ihrer Wohnung erlebt haben und erst jetzt in den Keller geflüchtet sein. Bleich, erstarrt, mit einer Glasscherbe in der Halsschlagader, die nicht müde wurde, Blut aus sich herauszuschießen. Frau Wolny schien nichts davon mitzubekommen. Sie stand ruhig in der Tür, wartete, dass ihr Einlass gewährt wurde.
    Amalia rief ins Innere des Raumes: »An Sessel, schnell, bringts an Sessel!«, und zog Frau Wolny behutsam zu sich. »Setzen S’ Ihnen«, schob sie der Frau einen Sessel unter den Hintern und fingerte einen Stofffetzen, der wohl einst ein Sommerkleid gewesen war, aus ihrem Rucksack.
    Frau Wolny sank nicht nur auf den Sessel, sondern gleich in Ohnmacht, was nicht ungelegen kam, weil so die starke Blutung kurzzeitig nachließ. Amalia presste den Fetzen an Frau Wolnys Hals, zog die Scherbe heraus und drückte noch fester auf die Wunde. Luftschutzwart Gruber holte aus seinem vorbildlich ausgestatteten Verbandskasten eine Mullbinde und bot sie Amalia statt des Fetzens an. »Sie hätten den Scherben nicht herausziehen sollen«, sammelte er sich aus kurzer Beklommenheit. »Hilf ma, sie hinlegen«, herrschte Amalia ihn an. Er fasste Frau Wolny an den Achseln. Gemeinsam legten die beiden sie auf ein Feldbett. Sie atmete flach, aber ihr Herz schlug, und langsam

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