Die wilde Gärtnerin - Roman
kam sie wieder zu sich.
»Frau Wolny, gleich nach der Entwarnung hol’ma die Sanitäter, ja?«, sprach Amalia sie an. »Hörn S’ mi, Frau Wolny?« Die Frau lag ungerührt da, schien nicht zu verstehen, wo sie war, was passiert sein sollte und weshalb sie von allen angestarrt wurde. »Is schon gut, Frau Wolny, es wird schon wieder«, beruhigte Amalia sie.
Dann übernahm Luftschutzwart Gruber sein Amt und blieb bei der Verletzten. Was Amalia nur recht war, weil sie erst jetzt den Schrecken in ihren Knochen spürte. »Komm, Erna, geh’ma zur Tante Gerti«, fasste sie ihre Tochter an der Schulter und ging mit ihr in den hinteren Teil des Kellers.
Dort saß Gerti zusammengesunken auf einem Feldbett. Von dem Zwischenfall mit Frau Wolny hatte sie nichts mitgekriegt. Amalia ließ sich erschöpft neben ihr nieder. Erna rückte nah an ihre Mutter heran und wich nicht von ihrer Seite. Amalia hätte sich so gerne schlafen gelegt, aber sie spürte, dass Gerti etwas belastete. Sicherlich würde sie den kurzen, ruhigen Moment nützen, um sich auszusprechen.
Vorerst blieb Gerti noch stumm, gönnte Amalia eine kurze Verschnaufpause, schaute abwechselnd zur Decke und auf ihre ineinandergefalteten Hände. Dann gab sie sich einen Ruck und atmete tief ein. »Mali, i moch mir Sorgen wengan Martin.«
Das war es also, dachte Amalia. Seit einigen Wochen war Gertis Sohn Martin bei der Hitlerjugend.
»Wenn dem was passiert –«, setzte Gerti ihren unheilschwangeren Satz nicht fort. Ihre schlimmsten Befürchtungen blieben unausgesprochen. Amalia kannte sie ohnehin. Trotzdem irritierte sie Gertis Besorgnis. Gerti war von ihnen beiden immer die Unbekümmerte gewesen. Egal, ob es galt, als Mädchen bei den Roten Falken auf den höchsten Kirschbaum zu klettern, den Donaustrom Höhe Kritzendorf zu durchschwimmen, oder einen Mann mit nicht ganz gesellschaftsfähigem Broterwerb zu heiraten. Gerti traute sich immer alles zu. Amalia war im Vergleich dazu zögerlich. »Wo is er denn?«, fragte Amalia.
»Auf Zeltlager.«
»Des is ja nix Schlimmes, was regst di da so auf?«
»Sie werden man wegnehmen, i waß«, stieß Gerti plötzlich unter einem Schluchzen hervor. »I werd ihn verlieren, ich spir’s.«
»Der Bua is auf HJ-Zötlager, was soll dem da passieren? Er wird nix zum Essen kriang, aber des wird er überstehen.«
»Na, na, Mali, du verstehst net, die schicken eam in Kriag!«
»Geh, du mochst di do narrisch. Der is auf Zötlager, nix weider. Wohin sollten s’ den scho schicken? Dem passiert scho nix, reg di net so auf.« Amalia war entsetzt von Gertis angegriffenen Nerven.
Gerti vergrub ihr Gesicht in beiden Händen. »I waß, die schicken ma’n nach Russland.«
Das war genau das, was Amalia jetzt hören wollte.
Todesgedanken
. Bilder von gefallenen Soldaten, blutüberströmt in verschneiter russischer Landschaft. Josef hatte ihr schon zu lange nicht geschrieben, als dass sie sich nicht auch solche Szenen ausgemalt hätte. Sie kramte einen weiteren Stofffetzen aus ihrem Rucksack. »Da, wisch da die Augen und putz da die Nasen.« Vielleicht würde sich ihre Freundin durch die Ermahnung wieder beruhigen. Gerti nahm das Tuch, aber sie drückte es sich nur vor das Gesicht, um dahinter noch heftiger zu weinen. »Na, kumm her.« Mit Strenge war hier nichts auszurichten. Sie rückte an ihre Freundin heran, worauf Erna sofort nachzog. Amalia hob Gertis Kopf, nahm das Stofftuch an sich und tupfte ihr damit über das Gesicht.
»Nur, weil er bei da HJ is, haßt des no gor nix. Da Martin is vierzehn, a klana Bua, was sollen s’ mit dem anfangen? Zurichten werden s’ eam. An braven Soldodn werden s’ aus eam mochen. An uandlichen Nazi hoid. Oba fürn Kriag is er net zu gebrauchen. Da brauchst ka Angst ham.«
Gerti ließ sich von Amalia das Gesicht trocken wischen. Ihre Atmung ging wieder etwas langsamer, die Augen waren rot geschwollen, der Mund zuckte. »Mali, wenn dem Martin wos passiert, bring i mi um.«
»Du mochst gor nix, verstehst, weil nix passiert. Hearst du mi? Im Kriag muasst überleben, net di umbringen. Überleben! Damit host scho gnua Orbeit. Fürs Umbringen san ondere do. Verstehst?«
Gerti ließ ihren Kopf hängen. Sie wusste Amalias Worte zu deuten. Je ruppiger sie wurden, desto lieber hatte sie einen. Gerti nahm Amalias Tuch, ließ es durch ihre Finger gleiten und schnäuzte sich endlich damit. Dann schaute sie ihrer Freundin tief in die Augen. Sie spürte deren Körperwärme, deren Präsenz. Amalias Wohlwollen ihr
Weitere Kostenlose Bücher