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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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»Ein Regenbogen«, dachte sie, wie jedes Mal, wenn sie die Brosche betrachtete. Magda erinnerte sich an den gemeinsamen Nachmittag, als sie mit ihrer Mutter im Café Korb gesessen war. Ihr fiel der Geschmack der heißen Schokolade ein. Auch die Menschenmenge, in der sie mit ihrer Mutter so lange auf den Kaiser gewartet hatte. War seine Kutsche letztendlich an ihnen vorübergefahren, oder nicht?, überlegte Magda. Im zwielichtigen Kerzenlicht des Weinkellers war ihr, als hätte sie den Wagen zumindest in der Ferne gesehen. Hat nicht sogar die Hand des Kaisers aus dem Wagenfenster gewinkt?
    Es war kalt im Keller, eiskalt. Obwohl der Winter des Jahres ’42 laut offiziellen Angaben kälter gewesen war, empfand Amalia den Jänner im siebten Kriegsjahr unerträglich. Sie hatte Erna in eine alte Pferdedecke gewickelt. Als kleines graues Paket saß sie zwischen Amalia und Gerti auf einem aufgeklappten Feldbett und hörte es rundum zischen und krachen. Nach jeder Detonation fanden sich Leute, die Mutmaßungen über den Einschlagsort anstellten. Meistens ging die Notbeleuchtung für einige Zeit aus.
    »Ui, die is beim Greißler einegangen.« Worauf heftig widersprochen wurde.
    »Geh bitte, wenn’s bei dem eing’schlogen hätt, kennt’ma nimmer so ruhig dasitzen. Staub und Dreck tät’s uns dann um die Urn hauen.« Im Luftschutzkeller befanden sich nicht nur Bewohner und Bewohnerinnen des Hauses, sondern auch Schutzsuchende aus den umliegenden ausgebombten Häusern. Die Besucherzahl hatte in den letzten Monaten stetig zugenommen. Hauptmerkmal der Ausgebombten war, hingebungsvoll von ihrem Erlebnisschatz zu erzählen. Die Erfahrungen des Verschüttet-gewesen-Seins wurden genauso bedenkenlos weitergegeben wie Berichte über Tote und Verletzte. Auffallend an der Selbstdarstellung der Erzähler war, dass sie als Einzige im Gewirr von Angst und Schrecken einen klaren Kopf und vor allem den Überblick behalten hatten.
    Für Erna machten es diese Geschichten, die Lichtausfälle und Detonationen auch nicht mehr schlimmer. Seit sie bei jedem Fliegeralarm in einen Schockzustand verfiel, waren ihr die einzelnen Komponenten, wie panisches In-den-Keller-Laufen, vom Luftschutzwart Gruber durchgezählt werden, Finsternis und Kälte, zu einem ungeliebten Gesamtpaket verschmolzen. Wäre das Notlicht nach einem Einschlag zufällig einmal nicht ausgegangen, es hätte ihrer Angst keine Milderung verschafft. Gerti saß gebeugt, die Arme auf den Oberschenkeln abgestützt, neben dem Deckenpaket Erna und stierte vor sich hin. Sie war blass, hatte letzte Nacht nicht geschlafen und seit Längerem nichts zu sich genommen. Amalia vermutete, den Grund für Gertis Zustand zu kennen.
    »Is was mit Martin?«, fragte sie leise, damit niemand im Keller sie hören konnte, weil die Begierde nach Klatsch, Tratsch und Schicksalsschlägen ungebrochen war. Gerti nickte stumm.
    »Is er einzogen worden?« Gerti nickte wieder. Sie richtete sich ein wenig auf.
    »Gestern wor er kurz bei mir. Richtig gfreit hod er si. ›Dein Sohn zieht für sein Vaterland in den Kampf‹, hod er g’sogt. Begeistert wor er. I hob … i hob… wos hätt i denn mochen sollen?« Gerti legte sich eine Hand auf den Mund, aber die konnte ihre Verzweiflung auch nicht zurückdrängen. »I hob g’sogt, dass er desertieren soll. Versteck di, da Papa kennt gnua Plätz, wo s’ di net finden, hob i gsogt. Oba davon wollt er nix wissen. ›Fahnenflucht‹, hot er gschrien, ›sei froh, dass ich dich dafür nicht anzeig!‹« Gerti brach ab.
    »Des hod er net so gemeint, Gerti, der Martin is a bleda Bua. Den ham s’ den Bledsinn in da HJ eing’redet. Dort erzöhn s’ den Kindern vom Hödntod. Der hod do ka Ahnung, wos ihn erwortet«, sagte Amalia.
    »Sei net dumm, Martin, hob i gsogt, mit Vierzehnjährigen losst si ka Kriag gewinnen. Oba donn is er wüd worden. I hob ihn no nie so dalebt. Er woa wie besessen. ›Vaterlandsverräterin‹ hod a mi g’haßen. I bin a Schand’ für ihn und des Deutsche Volk. Sein Mut und sei Entschlossenheit moch i ihm schlecht. Stolz sollt i auf ihn sein …« Die letzten Worte hauchte sie. Amalia blieb stumm. Erna schaute ihre Mutter an. Die traurige Gerti machte ihr Angst. »Mali«, sagte Gerti trocken, »wir san im Streit auseinandergangen. I hob ihn im Streit gehen lossen.« Ihr Oberkörper sank noch mehr in sich zusammen. Erna streckte einen Arm aus ihrer verschlissenen Pferdedecke und legte ihn auf Gertis Rücken. Amalia beugte sich über die

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