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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Suchaktionen. In den nächsten Wochen würden sie ohnehin jeden Misthaufen auf ein darunterliegendes Kellerloch absuchen müssen, jede Wand auf ein zugemauertes Zimmer abklopfen, alle Heuvorräte von Dachböden räumen, jedes noch so raffinierte Versteck ausheben müssen. Hier im Keller gaben sie sich mit ersten Habseligkeiten zufrieden. Kurz. Denn gleich darauf wählten sie mit »Du – du – du« einige Frauen aus, die sie die Kellertreppe hinaufstießen, um sie auf der Böschung neben dem Presshaus abwechselnd zu vergewaltigen.
    Ab nun herrschte garantierte Unsicherheit im Dorf. Frauen zwischen zwölf und fünfundsechzig mussten damit rechnen, überfallen und vergewaltigt zu werden. Magda versuchte, dem mit übergeworfenen, geflickten Kopftüchern und bodenlangen Kleidern zu entgehen. Sie schlich gebeugt und unauffällig die Dorfstraßen hinunter. Doch ihre Tarnung wurde schon an der nächsten Straßenecke aufgedeckt.
    Anton saß eines Nachmittags im April 1945 in der Kammer, die seine Mutter und er seit ihrer Flucht aus Wien im Haus seines Onkels bewohnen durften. Außer Magda und ihm war niemand daheim. Er schaute aus dem Fenster, hörte die Stille im Haus und den ruhigen Atem seiner Mutter. Sie war auf dem Bett eingeschlafen. Vom Fenster aus schaute er auf den Garten hinter dem Haus. Anton genoss die friedliche Schläfrigkeit des Moments. Seine schwarzen Haare hingen ihm in die Stirn, ähnlich wie einst seinem Vater, doch waren sie so lang, dass sie sich im Nacken und an den Schläfen zu Locken drehten. Er war zwar kein Kind mehr, aber seine Wangen waren nach wie vor glatt. Draußen war es winterlich, doch die Sonne schien kräftiger als vor einigen Tagen. Anton entdeckte erste Knospen an Sträuchern, im braunen Gras vereinzelte grüne Blätter.
    Plötzlich hörte er jemanden im Haus, fuhr herum und sah einen schwer betrunkenen Soldaten im Zimmer stehen. Die vollen Weinkeller des Ortes hatten der Bevölkerung nicht nur keinen Schutz geboten, sie lieferten den wodkaerprobten Soldaten Unmengen an saurem Wein, auf den sie hemmungslos reagierten. Der Soldat wankte auf Anton zu, stieß unverständliche Worte aus, aber Anton ahnte deren Bedeutung.
    »Njet, njet«, stammelte Anton, aber der Soldat packte ihn am Kragen. Er schmiss Anton auf das Bett. Mit einer Hand drückte er Antons Körper unter sich, mit der anderen öffnete er seine Hose. Anfangs schrie Anton, warf um sich, schlug mit Armen und Beinen gegen den Mann, doch bald lag er einfach nur regungslos und stumm da. Er war dem Soldaten körperlich unterlegen. War dessen Willen und Geruch aus Alkohol, Tabak, verfaultem Mageninhalt und einer ganz speziellen Ausdünstung ausgeliefert. Anton hielt seinen Atem an. Er wollte nicht, dass dieser Geruch in ihn eindrang, trotzdem schmeckte er ihn schon am Gaumen, roch ihn in den Stirn- und Nasenhöhlen. Anton schloss die Augen, versuchte sich vor weiteren Sinneseindrücken abzuschirmen. Nichts mehr sehen, nichts mehr riechen, nichts mehr spüren. Aber es war zu spät. Die Erfahrung der Unterlegenheit angesichts des übermächtigen Mannes war bereits in ihn hineingefahren, hatte sich neben den Leichenhaufen und neben den Soldaten ohne Kopf gelegt, sank immer tiefer in Antons Zellen ein.
    »Lass meinen Sohn los!«, hörte er seine Mutter schreien. Dann war der Mann plötzlich weg. Magda hatte ihn am Gewehrgürtel gepackt und ihn von ihrem Sohn heruntergezogen. Der Soldat taumelte nach hinten, fiel auf Magda, setzte sich schwankend auf und schlug ihr mit der Faust ins Gesicht. Einmal, zweimal. Anton sprang ihm auf den Rücken, hielt ihn mit einem Arm im Würgegriff. Aber der Soldat warf ihn ab, zog sein Gewehr und schlug Anton mit dem Gewehrkolben in den Nacken. Anton fiel vor dem Bett zu Boden. Blieb dort am Rücken liegen, bewegungs-, aber nicht bewusstlos. Seinen Blick auf den Plafond gerichtet, verschwand der Raum um ihn in gekalktem Weiß, schärfte sich sein Hörsinn, verzehnfachten sich die Geräusche außerhalb von ihm. Seine Mutter schrie auf, winselte und heulte. Der Soldat stöhnte, schimpfte und schlug auf sie ein. Anton wusste, was einen Meter neben ihm vor sich ging, auch wenn er nur den weißen Plafond sah. Irgendwann wurde der Soldat ruhiger. Einmal noch schlug er Magda, die zu keiner weiteren Schmerzreaktion fähig war. Anton hörte, wie der Mann sich seine Hose hinaufzog; die Gürtelschnalle klimperte dabei unschuldig. Dann stand er schwerfällig vom Bett auf und ging aus dem Zimmer, nicht ohne vorher

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