Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
Vom Netzwerk:
Lächeln. Er wollte nur noch einen ganz kurzen Blick auf Tante Rosa werfen, drehte sich zu ihr um und – prustete schon wieder los. Wie konnte die aber auch so aussehen? Und obendrein so falsch beten? Magda schnappte Anton und verschwand mit ihm unter der Decke. Er hatte sie mit seinem Lachen angesteckt. Auch sie kicherte und flüsterte: »Aufhören, hör sofort auf zu lachen!« Anton wäre ihrer Aufforderung liebend gern gefolgt. Er bemühte sich nach Kräften, drückte seine Hand auf den Mund, presste die Backenzähne fest aneinander. Doch kaum kehrte ein Moment Ruhe ein, schob sich das Bild der runzeligen Tante mit ihrem Rüschenhäubchen vor Antons Augen. Anton japste unter der Decke nach Luft. Das andauernde Lachen hatte ihm jeglichen Sauerstoff aus seinen Lungen gepresst. »Pscht«, machte Magda nochmals, aber Anton lachte weiter.
    Erst das Rumpeln auf der Kellerstiege ließ ihn schlagartig verstummen. Die Holztür des Weinkellers wurde aufgerissen. Alle lagen wie tot in ihren Betten, die Decken bis unter die Nasen gezogen, trauten sie sich beinahe nicht zum Ausgang zu schauen.
    »Sie san do! Wir hom s’ bei da Zaya g’sehen. Womöglich drehen s’ ob.« Kaum hatte Onkel Pepi diese Brocken zu ihnen hinuntergerufen, schon schloss er die Tür hinter sich. Er kehrte zu den anderen zurück, die vor dem Presshaus auf der Lauer lagen, für den Fall, dass die Gebete der interimistischen Weinkellerbewohner nicht ausreichten.
    »Jessasmaria«, jammerte Muckerl, eine Schwester von Franz, »mit da Stalinurgl werden s’ auf uns schiassen. Do werden sie’s aufstöhn und owaschiassen.« Sie deutete zur Kellertür. Die Vorstellung einer Stalinorgel, die, auf ihn gerichtet, in den Raum feuern würde, stellte Anton nachhaltig ruhig.
    »Stimmt das, werden die das machen, Mama?«, fragte er und erinnerte sich an die Warnungen seines Schullehrers in Wien. Den Russen sei alles zuzutrauen, nur nichts Gutes, hatte der Lehrer gemeint. Wien dürfe nicht kampflos übergeben werden, man müsse den Russen mit Pech übergießen. Flüssiges Pech aus Fenstern über den Russen auszuleeren, das sei die Aufgabe jedes anständigen Deutschen. Er, der Lehrer, werde das tun, sofern der Russe in Wien einmarschiert. Und falls der Russe trotz Pech und Kampf nicht abgewehrt werden kann, werde er sich aufhängen. Das sei die Aufgabe jedes anständigen Deutschen.
Lieber tot, als vom Russen besiegt
.
    Aber woher sollte Anton Pech bekommen? Vom Keller aus konnte er damit auch niemanden übergießen. Im gesamten Dorf gab es kein Haus, das auch nur einstöckig gewesen wäre. Außer der Kirche. Pech aus dem Kirchturm leeren, das machte keinen Sinn. Weshalb sollten sich Soldaten der sowjetischen Armee gerade unter dem Kirchturm versammeln, um sich von ihm mit Pech übergießen zu lassen? Blieb dann wohl nur mehr der Selbstmord, was Anton ebenfalls nicht zweckmäßig erschien. Denn falls russische Soldaten wirklich die Mündung ihrer Stalinorgel in den Keller lenken sollten, hätte sich das mit dem Selbstmord auch erübrigt.
    »Nein«, sagte Magda, das würden sie nicht tun. Magdas Argumente leuchteten ihm ein. »Das dauert doch viel zu lang. So eine riesige Waff’n baut man nicht schnell auf. Und glaubst, dass wir alle seelenruhig in die Betten liegen bleiben, bis s’ auf uns schießen?« Magda spürte Antons Angst an seiner Körperspannung. Sie hoffte, er würde sie nicht ebenfalls so leicht durchschauen. Wären wir lieber in Wien geblieben, dachte sie. Wie blöd war es überhaupt, sich in einem Keller zu verschanzen? Welchen Sinn sollte es haben, sich zu verstecken? Glaubte diese hinterwäldlerische Landbevölkerung tatsächlich, die russische Armee würde nicht nach ihnen suchen? Die hatten doch nichts anderes zu tun. Feinde suchen, finden, töten oder gefangen nehmen.
Das
machten Soldaten im Krieg. Das machte Franz in Russland und jetzt würden das eben die Russen in Österreich machen.
    Magda ließ Anton mit einer Hand los und griff in die Seitentasche ihres Kleides. Dort bewahrte sie die Brosche ihrer Mutter auf. Magdas restlicher Schmuck war in ihrer Handtasche unter dem Bett. Nur die wertlose Brosche trug sie bei sich. Der Verschluss hatte sich gelöst und die Nadel sich durch den Kleiderstoff in Magdas Oberschenkel gebohrt. Möglicherweise hatte die Nadel schon länger in ihrem Fleisch gesteckt, aber jetzt erst bemerkte sie den Schmerz. Magda zog die Brosche unter der Bettdecke hervor. Selbst im dämmrigen Kerzenlicht funkelten die Kristalle.

Weitere Kostenlose Bücher