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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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Aufblühen eher nach Aufblähen an. Mit Gartenarbeit an der Sonne wird mein Unwohlsein schon wieder vergehen. Aber Leda hätte mich ruhig etwas mehr auf Alterserscheinungen jenseits der dreißig vorbereiten können. Über meine Pubertät hat sie mich schon mit sieben aufgeklärt. Die Veränderungen meines Dreißig-plus-Körpers hat sie mir verschwiegen.
    Tonis Schüler lässt mich etwas später von meiner Gartenarbeit hochschrecken. »Hallo!«, ruft er. Muss ein wenig herumschauen, um zu eruieren, woher die Stimme kommt. Entdecke ihn an der Schwelle zum Garten, er steht neben der offenen Tür, die warme Luft ins Stiegenhaus lässt. Rühre mich nicht. Er schaut wie ein Jünger aus. Zumindest, wie ein Jünger in
meiner
Vorstellung auszuschauen hat. Blonde, kurze Locken, getrimmter Vollbart und ein Gesicht, als würde er jeden Moment Franz von Assisis Rede an die Tiere anstimmen. Er ist feingliedrig, mittelgroß, wirkt behutsam und delikat. Denke mir sofort: »Der passt zu Toni.«
    »Hallo«, grüßt er nochmals und kommt auf mich zu. Dabei betrachtet er ganz genau den Boden zu seinen Füßen. Will er Regenwürmer entdecken? Bei
den
Temperaturen? Anscheinend ist er nicht oft an der frischen Luft. Möchte nicht unbedingt mit ihm reden, befürchte jedoch, dass es ihn zu einem Gespräch drängt. Überlege mir unverfängliche Einstiegsfragen, aber alles in meinem Kopf klingt so ähnlich wie: »Bist du der neue Stecher von Toni?« Scheint mir aber angesichts seiner Zartheit zu brutal. Ihn mit Jüngling, Schüler oder Lehrling anzureden, kommt mir ebenfalls unpassend vor. Ihn einfach mit Benno anzureden, ist auch problematisch. Wegen Toni. Müsste dann nämlich anfügen: »Sie hat schon viel von dir erzählt«, oder: »Sie redet andauernd von dir«, bis hin zu: »Ich weiß sogar, wie du fickst«. Das wäre Toni sicher nicht recht. Außerdem würde das den Jüngling verschrecken. So wie der ausschaut. »Zu wem gehörst denn du?«, wäre wahrscheinlich unbelasteter, aber eher für ein Hündchen geeignet. »Sind Sie Besucher?«, klingt nach Nervenanstalt. Sage nichts, sondern stehe auf, streife meine Arbeitshandschuhe ab, schenke mir Jasmintee ein und setze mich auf meine Gartenbank. Allmählich verliert er sein Interesse für die Beschaffenheit des Bodens und gibt seine optische Güteprüfung auf.
    »Du bist Helen, stimmt’s?«, sagt er. Bekomme damit die Bestätigung, dass Toni mit ihm über mich gesprochen hat. Frage mich sofort, was er von mir weiß? Dass ich humusbildende Hausbesitzerin und ihre Volksschulfreundin bin? Oder mehr?
    »Stimmt«, sage ich. Er lobt mein Haus und den »essbaren« Garten.
    »Darf ich?«, fragt er und deutet an, sich neben mich setzen zu wollen. Rücke zur Seite und spüre, wie die Holzbalken unter seinem Gewicht nachgeben.
    »Tee?« Reiche ihm in Ermangelung eines zweiten Bechers den Verschluss meiner Thermoskanne mit Jasmintee. Er bedankt sich und trinkt. Er schlägt ein Bein über das andere, blinzelt in die Sonne, schmunzelt mich an, dann schaut er sich wieder im Garten um. Bleibe stumm. Er auch. Der Jünger verschränkt seine Arme, schließt die Augen. Nehme an, er lauscht dem Wind, den Vögeln, den gedämpften Stadtgeräuschen, die sich in den Hof flüchten. Meinen Becher hält er noch in der Hand. Lasse ihn horchen und schweigen. Wie er so neben mir sitzt, fällt mir der Unterschied zu Berta auf. Sie ist vor einigen Tagen an derselben Stelle gesessen. Aber sie redet viel und lächelt kaum. Er redet kaum und grinst ununterbrochen. Leda würde sicher behaupten, die beiden seien
unterschiedliche Elemente
. Berta sei Feuer. Der Jünger Wasser. Und natürlich liege ihr abweichendes Verhalten an ihren Krafttieren, so Leda. Sie: Stier. Er: Seepferdchen.
    Seiner Kleidung nach hätte ich ihn nicht als Bankangestellten eingestuft. Aber wie schauen Banker schon aus? Der Jüngling jedenfalls trägt Sportschuhe (eine alte englische Laufschuhmarke), Jeans, einen dicken Sweater. Sehe am Halsausschnitt das Bündchen eines zweifärbigen T-Shirts vorblitzen. Hätte ich ihn vom Fenster aus auf der Lerchengasse gesehen, ich hätte ihn für einen Studenten weit über der Mindeststudiendauer gehalten. Sicher nicht für jemanden, der mit Geld zu tun hat.
    Der Jüngling neben mir schweigt. Bin heilfroh darüber. Dank Tonis expliziter Schilderung seiner Lernfähigkeit in sexuellen Belangen würde ein Gespräch mit ihm ein Fettnäpfchen-Tempelhüpfen für mich werden. Aber dankenswerterweise bedarf er keiner

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