Die wilde Gärtnerin - Roman
i helfen kann.« Aber sie bemerkte die Unsinnigkeit ihrer Überlegung. Wenn Gerti ohne Martin nicht weiterleben wollte, musste Amalia das respektieren. Ihr selbst war schon bei Josefs Vermisstenanzeige schlecht geworden. Obwohl »vermisst« noch gar nichts hieß. Vermisst wurde in der Nachbarschaft fast jeder dritte Mann. Davon konnten einige in Gefangenschaft geraten oder desertiert und untergeschlüpft sein. Vermisst hieß noch gar nichts.
»I wünsch dir drüben a besseres Leben. Du hast es verdient. – I werd di vermissen, Gerti«, flüsterte Amalia. Sie fühlte sich machtlos. In ihrem ganzen Körper kein anderes Gefühl als Machtlosigkeit. Sie hatte weder Macht über ihr eigenes Leben noch über das von geliebten Menschen. Keinen Einfluss auf Bomben, Ernas Hunger, Josefs Einberufung, Gertis Tod. Keine Macht über nichts. Nur Hilflosigkeit. Amalia saß neben der Leiche ihrer Freundin. Gerti war dreiunddreißig Jahre alt geworden. Ihr Sohn vierzehn.
Die Wohnungstür wurde aufgerissen. Zwei Sanitäter standen im Türrahmen. »Tschuldigung, wir wollen net stören, oba wir miassen die Verstorbene holen.«
»Is scho gut«, sagte Amalia und stand auf, »i hab mi nur verabschiedet.«
Die Männer stellten eine Bahre auf den Küchenboden, deren einst weißes Leintuch von Körpersäften zeugte. Um neben der Leiche Platz dafür zu finden, musste Gertis Körper zuvor etwas beiseitegeschoben werden. Amalia wandte ihr Gesicht ab. Gerti war tot, Gruber lebte. Absurd.
Erst vor wenigen Tagen war das Kriegsende ausgerufen worden. Menschen strömten auf die Straßen, tanzten neben Schutthaufen und Bombentrichtern, umarmten und freuten sich. Der Krieg war verloren, aber vorbei. Und mit ihm die Angst vor weiteren Angriffen, Kämpfen und den Nazis. Alles was nun käme, würde besser sein als die letzten Jahre. Hoffte man. Es war ein warmer Maitag, niemand dachte an den kommenden Winter. Der Himmel war klar, als freute er sich, endlich nicht mehr von Fliegern durchpflügt zu werden. Die Menschen hatten nichts, womit sie sich zuprosten, womit sie einander beschenken konnten. Sie hatten ihr Leben, das genügte fürs Erste. Amalia kannte nicht alle, denen sie um den Hals fiel, was gleichgültig war. Sie ging davon aus, dass alle Ähnliches durchgemacht hatten, das war gemeinschaftsstiftend genug. Sie sah lachende Gesichter, strahlend glückliche Menschen. Ein ungewohnter Anblick. Selbst Gerti war hoffnungsfroh gewesen. »Jetzt kummt da Martin bald z’haus«, hatte sie gemeint. Amalia kam sich vor wie im Märchen vom Sterntaler. Glück regnete auf sie hernieder, sie brauchte es nur aufzufangen und konnte es für immer behalten.
Ein Schrei zerschnitt den Freudentaumel. Frau Wolny kam aus dem Haus gerannt.
»Da Gruber, da Gruber, er hängt in der Waschkuchl!«
»Der Trottel«, zischte Amalia und hechtete fünf Stockwerke zum Dachstuhl hoch. Sie hatte dabei ausreichend Zeit, ihn zu verwünschen. »Jetzt muass sich der Trottel umbringen, wo schon olles vorbei is, der oide Nazi, die feige Sau«, waren ihre Worte. Sie stieß die Tür zur Waschküche mit einem Tritt auf und sah Gruber von einem schrägen Dachbalken baumeln.
»Wo hat der Depp des Seil her? Nirgends a Stickel Stoff, oba
er
hod a Seil zum Aufhängen.« Sie lief zu Gruber. Hinter ihr drängten einige die Stiegen hinauf, blieben aber an der Türschwelle stehen. »Na kummts, hebt’s ihn hoch, worauf wort’s?« Die Hausbewohner zögerten.»Na los! Helft’s mir.«
Zwei Frauen erklärten sich bereit, Gruber an den Beinen zu packen und ihn hochzustemmen. Amalia stieg auf den Holzschemel, auf dem Gruber kurz zuvor gestanden war, bevor er ihn todeswütig umgestoßen hatte. Mit einer aufgeklappten Schere sägte sie das Seil durch. Sie warnte die beiden Helferinnen vor der Last von Grubers Körper. Trotzdem landete er unsanft auf dem Boden. Er war blau im Gesicht. Das Seil hatte sich tief in seinen Hals geschnitten. Amalia lockerte die Schlinge. Sie hielt ihr Ohr nah an seinen Mund. Alle Kränkungen, die von Gruber ausgegangen waren, ihre Hilflosigkeit, die sie in seiner Gegenwart empfunden hatte, stiegen in ihr hoch. Sie schlug ihm ins Gesicht, mit einer Wucht, die sie selbst überraschte. »Du Sau stirbst ned, du Nazioarsch!«, schrie sie auf ihn ein. Sie stemmte sich zu einer Herzmassage auf seinen Brustkorb, nur um ihm gleich darauf einen neuerlichen Faustschlag zu versetzen. Die anderen standen betreten um die beiden herum. »Mali, loss eam«, sagte jemand. Amalia boxte
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