Die wilde Gärtnerin - Roman
kennengelernt?«
»Ja,
nachdem
sie mich auf der Straße angesprochen und dazu eingeladen hat.« Bin etwas irritiert über Tonis Aufreiß-Praktik, obwohl ich sie doch schon lang genug kenne und mich ihr unorthodoxes Vorgehen nicht mehr überraschen sollte. Gehe darauf nicht näher ein, sondern trinke Veltliner. Und auch Benno wechselt das Thema und tischt Reiseabenteuer auf. Dicht gefolgt von Anekdoten aus seiner Kindheit. Er kann das gut, sehr gut sogar. Hat ein bisschen was von einem Hörbuch, er spricht mit verstellter Stimme und spielt verschiedene Rollen. Das liegt ihm. Vielleicht sollte er bei dem Festival als Geschichtenerzähler fungieren. Verschweige ihm aber meinen Einfall. Bemerke, wie mir mein Hintern vom harten Küchensessel wehtut und sehe, dass es bereits vier Uhr ist. Der Doppler ist noch nicht leer, aber weniger als halb voll. Beginne zu gähnen, woran Benno definitiv keine Schuld hat. Stattdessen kann alles dem Alkohol in die Schuhe geschoben werden.
»Das ist eindeutig«, sagt er, »ich glaub, ich geh jetzt.«
»Nein, entschuldige, es liegt nicht an dir, ganz und gar nicht, es ist eine Freude, dir zuzuhören, aber ich muss mich niederlegen und meinen Rausch ausschlafen. Tut mir leid.« – »Ist schon in Ordnung, meine umwerfende Wirkung auf Frauen ist mir bekannt«, sagt er, schwingt seine Stofftasche über die Schulter und geht zur Tür. »Danke für die gute Unterhaltung. Du hast Tonis Auftrag, mir Gesellschaft zu leisten, bestens erfüllt.« Seine Lippen werden eine Nuance schmäler und seine Apfelbäckchen knackiger. Er verabschiedet sich mit Wangenküssen von mir. Kann nicht bestätigen, dass er nach Essen riecht.
Gehe nach einer guten Stunde Schlaf in den Garten. Sammle Schnecken ein und schmeiße sie über die Mauer. Kennzeichne jene Erdbeeren als Mutterpflanzen, die am reichlichsten blühen.
Schaue zu Berta hinüber, bevor ich zu Bett gehe. Dort ist alles dunkel.
12.5.
Kein Durchfall, kein Kopfweh, keine Verstopfung. Na, wenn das kein Zeichen von tadelloser Nahrungsmittelverträglichkeit ist. Ein Hoch auf meine histaminabbauenden Enzyme, ein Hoch auf aromafreie Lebensmittel, ein Hoch auf unbeschädigte Darmschleimwände. Bin stolz auf mich und meinen Körper samt einem Kilo Lebendgewicht an Bakterien, Pilzen, Mikroorganismen, die eine so treffliche Symbiose eingehen. Ein guter Tag beginnt mit einem guten Schiss. Kann das nur immer wieder bestätigen.
Sitze in meiner Holzhütte, während die Sonne scheint, Mauersegler hoch oben als schwarze Punkte ihre Raubtierbahnen ziehen und laut über meinem Kopf hinweg quietschen. Es summt und brummt in meinem Paradiesgarten. Es blüht und gedeiht. Schneide erste Rhabarberstiele aus dem Frühbeet und lege sie auf Tonis Türmatte. Bepflanze ein weiteres kreisrundes Beet mit Chicorée, Artischocken, Auberginen, Schnittknoblauch, Lavendel und natürlich Ringelblumen nebst Margeriten. Meine Blumenwiese schickt sich an, mit Buchweizen, Blattkoriander, Kornblume, Ölrettich, Malve und Dille zum Bienenhimmel auf Erden zu werden. Kann den Anblick von vollen Beeten, kniehohen Blumen und hochsommerlicher Farbenpracht kaum erwarten, obwohl bereits viele Pflanzen in schönster Blüte stehen. Die Ungeduld kratzt mich im Darm. Es ist erwiesen, Hirn und Verdauungstrakt bilden ein gemeinsames Erinnerungsreservoir. Doch die Nervenzellen meiner Eingeweide scheinen an Gedächtnisschwund zu leiden. Sie wollen nicht an baldigen Sommer glauben, sondern fürchten neuerlichen Kälterückschlag. Um sie zu beschwichtigen, setze ich Jauche an, mit Brennnesseln vom Schattenplatz hinter dem Kompost.
Sehe Berta den ganzen Tag nicht. Überlege, sie anzurufen. Verwerfe die Idee → wenn sie nicht da ist, kann sie auch nicht zu mir rüberkommen. Was kann da Telekommunikation ausrichten?
Toni kommt am Abend mit einem Rhabarber-Streuselkuchen. Köstlich. Sie spricht fast gar nichts über ihre Festwoche, dafür mehr von ihren Alten: Ist mit dem mobilen Teil davon auf einem Nationalparkboot durch die Donauauen gefahren. Die Alten hätten ihr erzählt, wie viele Tiere früher nicht erst in der Au, sondern schon bei der Rotundenbrücke zu finden gewesen wären. Den gesamten Ausflug über hätten die Alten gematschkert, dass früher alles besser gewesen sei. Erst als sie einen Eisvogel gesehen hätten, wären sie andächtig und ruhig geworden. Es ist das erste Mal, dass ich Toni ambivalent von ihren Alten reden höre. Ein schöner Abend. Ein schöner Tag.
13.5.
Berta wieder nicht
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