Die wilde Gärtnerin - Roman
gestrigen Abendessen. Er zeigt reges Interesse an meiner Meinung. Entweder möchte er wirklich meine Sicht der Dinge wissen, oder er kann sich nicht vorstellen, dass eine, die ihre Scheiße zum Lebensmittelpunkt erklärt hat, irgendetwas von der Welt mitbekommt. »Keine Ahnung, was da wirklich passiert ist, aber die Auswirkungen finde ich ganz annehmbar. Wenn ich ein bisschen länger darüber nachdenke, fallen mir noch etliche Leute ein, für die so einen Jagdunfall geeignet wäre.« Benno lacht und fragt, wer die denn seien. »Ach, da darf man sich nicht festlegen. Einfach scharenweise durch die Wälder schleusen und am anderen Ende geläutert in Empfang nehmen. Aber mit den beiden ist schon mal ein passabler Anfang gemacht worden.« Benno lässt nicht locker und möchte meine Auswahlkriterien erfahren. »Wahrscheinlich eignen sich diejenigen für einen Waldspaziergang, die nicht wahrhaben wollen, dass sie für die Pedosphäre ein Durchlaufposten im Wandel der Materie sind, nichts anderes als Exkremente.«
Würde darüber gerne mit Berta reden, aber sie ist noch immer weg.
18.5.
Die Brennnesseljauche schäumt nicht mehr, ist dunkel, also fertig. Stärke meine Beete damit. Ruhe den Rest des Tages. Liege mit geschlossenen Augen in meiner Blumenwiese. Jetzt ist sie hoch und fest genug. Vergesse die Stadt rund um mich. Vogelgezwitscher, Bienen, Hummeln, Schwebefliegen, niemand kümmert sich um die Geschäftigkeit der Menschen außerhalb meines Gartens. Leiser Autolärm ist zu hören, selten Hubschrauber, die das AKH anfliegen. Gedämpfte Stimmen aus angrenzenden Wohnungen. Nach Stunden kommt Toni zu mir. Sie setzt sich neben mich in die Wiese und bleibt stumm. Sehr ungewöhnlich für Toni.
»Was essen wir heute?«, frage ich.
»Wir sind bei Freunden eingeladen, du kannst gerne mitkommen.« Kommt natürlich überhaupt nicht in Frage.
»Kannst du mir dann bitte eine Forelle kaufen?«, ersuche ich sie. Ihre Antwort ist ebenso ungewöhnlich wie ihre Sprachlosigkeit: »Nein.« Befürchte, das ist wieder ein Versuch, mich aus meinem Haus zu locken. Damit will sie mich zwingen, nach draußen zu gehen und für mich selbst zu sorgen. Aber anscheinend ist das nicht Tonis Intention. »Frag Benno«, sagt sie.
»Das mach ich sicher nicht, das ist mir peinlich.«
»Braucht es nicht. Du machst ihm einen Gefallen, wenn er dir helfen kann.« Bezweifle, dass Benno scharf auf den Laufburschen-Posten ist, sage aber nichts. Verzichte einfach auf die Forelle. Der automatische Türöffner der Gegensprechanlage summt und Tonis nächste Kundin kommt zur Einfahrt herein.
Pflücke die ersten Erdbeeren und gehe in die Wohnung. Mache mir Erdbeerjoghurt und löffle es vor dem Fenster. Sehe Berta in ihrer Wohnung. Sie muss eben erst zurückgekommen sein. Ohne zu überlegen, ohne mich umzuziehen, gehe ich zu ihr rüber. Das Tor von Bertas Haus steht offen. Gehe nach hinten in den Hof, über die Pawlatschen zu ihrer Tür. Klopfe kurz an und öffne. Ihre Tür ist wieder unversperrt. Freue mich, sie zu sehen, als wäre sie Jahre weggewesen. Drücke sie zur Begrüßung kurz an mich. Sie reagiert abweisend. Sie scheint mit mir nicht gerechnet zu haben und körperliche Nähe nicht zu schätzen.
»Wo warst du so lange?«, frage ich. Sie schaut ein wenig angewidert drein. Greife mir reflexartig an den Mund und spüre, dass sich eingetrocknete Joghurtreste in meinen Mundwinkeln gehalten haben. Wische sie weg.
»Willst du ins Bad?«, lacht Berta. Sie lacht tatsächlich. Ich kann sogar ihre Zähne sehen. Weil das so einfach gegangen ist, wische ich mir nochmals gründlich mit dem Ärmel meiner Arbeitsjacke über den Mund und schüttle den Kopf.
»Wasser ist zum Gießen da«, sage ich, und Berta wiederholt ihren Anflug von Heiterkeit. »Also, wo warst du so lange?«, bleibt meine Fragetechnik hartnäckig.
»Im Südburgenland, wandern –« Berta macht eine Pause. Sie grinst mich breit an. Habe sie noch nie so fröhlich erlebt. Ihre Sommersprossen haben sich über ihr gesamtes Gesicht ausgebreitet, ihre Haare wirken blonder, von der Sonne ausgebleicht. Sie muss sich viel im Freien aufgehalten haben. Ihre Arme, die aus dem Kurzarm-Shirt schauen, sind gebräunt. »Und jagen«, fügt sie hinzu und wartet meine Reaktion ab. Grinsend.
»
Jagen
?«, frage ich. Lasse mich auf den nächsten Sessel fallen. Sie hat von sich aus damit angefangen, also traue ich mich weiterzufragen. »Hast du was mit dem Unfall zu tun?« Meine Stimme klingt monoton, als ob ihr
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