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Die wilde Gärtnerin - Roman

Die wilde Gärtnerin - Roman

Titel: Die wilde Gärtnerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Milena-Verlag <Wien>
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nahm einen Schluck von ihrem schwarzen Kaffee und lächelte in die Runde. Sie hatte das Gespräch zwischen Magda und Amalia überhört. Es musste sich um Magdas Brosche gehandelt haben, denn gerade berührte Hilde den grauenhaft kitschigen Klumpen an Magdas Kleid. Trotz Antons schwieriger Eigenart war Erna zufrieden. Oft empfand sie schubweise unbändiges Glück, dann packte sie ihre Tochter und hätte sie vor Freude am liebsten zerdrückt. Wie gestern.
    Sie waren alleine zuhause gewesen. Anton hatte gearbeitet. Erna machte Hildes Lieblingsessen, Äpfel im Schlafrock, mit so viel Staubzucker, dass der goldbraune Teig weiß wurde. Nachdem Hilde aufgegessen hatte und auf ihren Wangen Apfel- und Zuckerreste klebten, rief Erna »Achtung, Liebesanfall!« und wollte ihre Arme um Hilde schlingen. Doch die war schneller, sprang auf, rannte hinters Sofa.
    »Du kriegst mich nicht, du kriegst mich nicht, fang mich doch, wenn du kaa-annst«, sprang Hilde auf die Sitzfläche und hüpfte auf und ab. Erna fasste ihre Tochter, warf sie in die Sofakissen, beide quietschten und lachten. Hilde zappelte so lange in Ernas Armen, bis sie gemeinsam zu Boden fielen und dort herumrollten. Hilde wälzte sich übermütig über den Teppich. Auf einmal hörte sie auf zu tollen und wurde still. Sie schaute Erna ernst an. »Mama«, sagte sie, »können wir nicht weggehen vom Papa?«
    Amalia Panticek legte die Hand auf ihren Bauch, so wie sie es früher während der Schwangerschaft mit Erna getan hatte. Aber jetzt erwarteten sie unter ihrer Bauchdecke weder erfreuliche Bewegungen eines heranwachsenden Kindes noch Linderung der Schmerzen. Die Handbewegung war zur gedankenlosen Gewohnheit geworden. Lediglich die Wärme ihrer Handinnenseite half. Aber das Stechen in ihrem Bauch, als hätte sie statt Kaffee Skalpellspitzen geschluckt, würde davon nicht aufhören. Das wusste Amalia Panticek aus leidiger Erfahrung. Sie lebte bereits länger mit, als ohne Schmerzen. Fast glaubte sie, ihr Bauch hätte auf Mahlzeiten immer schon mit Rebellion reagiert.
    Während der Fabrikarbeit steckten Amalias Haare unter einer Plastikhaube, ihre Finger in Gummihandschuhen und sie in einem weißen Arbeitsmantel. Amalia schaute ihren Händen zu, wie sie Dreck aus Schafsund Rinderdärmen drückten. Dabei gefiel ihr die Vorstellung, sie könnte auch aus ihrem Darm alles Überschüssige, Unverdaute, allen Schmutz herauskratzen. Wenn sie den Tierdarm glattstrich, in Seifenlauge auskochte und mit Sauerstoff zum Trocknen aufblies, wünschte sie, ihren Darm ebenso reinigen zu können. Je stärker ihre Bauchschmerzen wurden, von denen sie häufig während der Arbeit heimgesucht wurde, desto gründlicher putzte Amalia die Tierdärme. Den Gestank in der Fabrikhalle, der ihr zu Beginn ihrer Anstellung Brechreiz verursacht hatte, bemerkte sie mittlerweile nicht mehr. Erst wenn ihre Schicht vorüber, sie aus Haube, Handschuhen und Mantel geschlüpft war, roch sie den Verwesungsgeruch an sich. Unter der Dusche rubbelte sie Lavendelseife auf ihre Haut. Sie drehte das Seifenstück in ihren Händen, hielt sie immer wieder an ihre Nase, um sich zu vergewissern, dass keine Zersetzung an ihnen haftete. Danach zog sie ihre Straßenkleidung an, die sie zum Schutz vor Gestank in ihrem Garderobenschrank aufbewahrte. Trotz ihrer Vorkehrungen kam ihr zuhause oft ein süßlichaasiger Geruch in die Nase. Als würde er angeweht werden oder sie verfolgen. Hatte er sich womöglich schon in ihren Nasenschleimhäuten eingenistet, wie der Schmerz in ihrem Darm? Als zusätzliche Abwehr, wie manche aus Angst vor bösen Geistern Kreuze oder Amulette mit Heiligenbildern um den Hals trugen, steckte Amalia kleine Blumen in die Brusttasche ihrer Bluse. Damit Flieder-, Rosen- oder Veilchenduft ihren Nasengeruch übertünchten.
    »Mama, tut dir schon wieder der Bauch weh?«, fragte Erna zornig, weil ihre Mutter ständig stumm vor sich hin litt und nichts gegen ihre Schmerzen unternahm. »Du musst endlich zum Arzt gehen, Mama.«
    »Wor i schon. I hob nix. I soll ka Fett essen, nix Siaßes, kan Kaffee. Da bleibt nimmer vü übrig, wennst mi frogst.«
    Erna glaubte ihrer Mutter nicht. Entweder sie war noch nicht beim Arzt gewesen – was sehr wahrscheinlich war – oder er hatte ihr eine andere Diagnose gestellt. Vom Essen allein konnten diese ewigen Bauchkrämpfe nicht kommen.
    »Des wird schon wieder«, sagte Amalia, »redma von was andan.« Damit war die Sache abgehakt. Selbst wenn Erna auf einem gemeinsamen

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