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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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seine Frau zu schreiben.
     
    Pension Taschy
    Spiegelgasse 29
    Wien 1, Österreich
     
    Liebe Biggie,
    ich denke an
dich, Colm, und auch an dich, Biggie – an die Nacht, in der sich in East
Gunnery, Vermont, dein Nabel gedehnt hat. Du warst damals im achten Monat, Big,
als sich dein Bauchknopf nach außen kehrte.
    Drei Stunden
lang haben wir mit Couths altem, zugigem Volkswagen, dessen Schiebedach fehlte,
von Great Boar’s Head gebraucht. In Portsmouth war es bewölkt, und in
Manchester, Peterborough und Keene war es ebenfalls bewölkt. Und an jedem Ort
sagte Couth: »Hoffentlich fängt es nicht an zu regnen.«
    Dreimal hab ich
mit dir Plätze getauscht, Big. Es war unbequem für dich. Dreimal hast du
gesagt: »Oh, Gott, ich bin so dick !«
    »Wie der
Vollmond«, meinte Couth. »Ganz toll.«
    Doch du hast
rumgezetert, Biggie – warst immer noch sauer, [310]  natürlich, wegen der rohen Art, in der mein
Vater sich über unsere unanständige und verantwortungslose Paarung ausgelassen
hat.
    »Sieh es doch
mal so«, hat Couth gesagt. »Denk dran, wie glücklich das Baby sein wird, daß es
so junge Eltern hat.«
    »Und denk an
die Gene, Big«, sagte ich. »Was für ein
prächtiges Bündel Gene!«
    Doch du warst
sauer. »Ich bin’s leid, dauernd an das Baby zu denken.«
    »Na ja, auf
jeden Fall seid ihr zwei jetzt zusammen«, meinte Couth. »Denk an all die
Entscheidungen, die dir erspart bleiben.«
    »Es hätte überhaupt keine Entscheidungen gegeben«, hast du den armen Couth angeblökt, der
doch nur versuchte, dich aufzumuntern. »Bogus wäre niemals bereit, mich zu
heiraten, wenn ich nicht schwanger wäre.«
    Doch ich sagte
nur: »So, jetzt sind wir in Vermont«, als ich durch das Loch im Autodach auf
die rostigen Träger der Brücke über den Connecticut sah.
    Aber du hast
nicht lockergelassen, Big, obwohl wir es schon hundertmal durchgekaut hatten,
und ich hatte keine Lust, mir die gleiche Platte noch mal anzuhören.
    Du hast gesagt:
»Bogus, du hättest mich nie im Leben heiraten wollen, das weiß ich genau.«
    Und Couth, der
gute alte Couth, sagte: »Dann hätte ich dich eben
geheiratet, Biggie – bei Vollmond, Halbmond oder ganz ohne Mond. Ich hätte dich
geheiratet, und das würde ich auch jetzt noch tun, wenn Bogus es nicht täte.
Und stell dir das doch mal vor, ehrlich…« Dann wandte er dir, über das Lenkrad
gebeugt, sein großartiges Lächeln zu – zeigte dir, wie er mit der Zunge seine
falschen Schneidezähne auf und ab hüpfen lassen konnte.
    Was dich
immerhin ein wenig zum Lächeln brachte, Biggie. Du hattest schon wieder ein
klein bißchen Farbe, als wir in East Gunnery ankamen.
    [311]  Doch
jetzt in der Pension ›Taschy‹ brachten Bogus seine Erinnerungen an East Gunnery
ganz durcheinander. Er las noch mal durch, was er geschrieben hatte, und
stellte fest, daß es ihm nicht gefiel. Der Ton paßte irgendwie nicht, also
versuchte er es noch mal und begann nach der Zeile: »… als sich dein Bauchknopf
nach außen kehrte.«
    Wir haben Couth und seinen Volkswagen in einem Feld versteckt
und sind dann den langen Schotterweg zur Farm deines Vaters zu Fuß gegangen.
Hier kommt die kindliche Braut, mit einem Bündel im Bauch. Und ich fürchte, ich
habe dir Feigheit vorgeworfen, weil du deinen Eltern nichts davon geschrieben
hattest.
    »Ich hab ihnen
von dir geschrieben, Bogus«, hast du mir gesagt. »Das ist immerhin mehr, als du
deinen Eltern gesagt hast.«
    »Aber nicht
über deinen Zustand, Big«, gab ich zurück. »Davon hast du ihnen nichts
erzählt.«
    »Nein, darüber
nicht.« Und du hast deinen engen Regenmantel vom Körper weggehalten, wolltest
die Illusion schaffen, dein Mantel sei nur deshalb so aufgebläht, weil du die
Hände in die Taschen gesteckt hattest.
    Ich hab mich
nach Couth umgeschaut, der uns etwas besorgt zuwinkte; er ragte aus seinem Dach
heraus wie ein haariges menschliches Periskop.
    »Couth kann
auch mitkommen«, hast du gesagt. »Er braucht sich nicht in dem Feld zu
verstecken.« Aber ich hab dir gesagt, daß Couth sehr scheu ist und sich wohler
fühlt, wenn er sich im Feld verstecken kann. Ich habe nichts davon gesagt, daß
ich glaubte, man würde uns eher verzeihen, wenn wir allein hineingingen, oder
davon, wie gut es war, zu wissen, daß Couth dort drunten bereitstand, falls ich
schnell wegmußte.
    Der schlimmste
Augenblick war, glaub ich, als wir am Jeep deines Vaters vorbeigingen und du
gesagt hast: »Oh, mein Vater ist auch daheim. Mein Gott, Vater,

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