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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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jemand.
    »Ich mußte ihn
doch von mir runterkriegen, oder?« entgegnete die Hure, und Frau Taschy schaute
verächtlich den Flur entlang auf einen Mann, der gerade, die Schuhe unter dem
Arm, aus einem Zimmer kam und sich schnell den Reißverschluß zuzog. Die Hure,
die hinter ihm herauskam, fragte: »Was ist denn los? Stimmt irgendwas nicht?«
    »Auf Jolanta
ist einer gestorben«, sagte jemand, und alle lachten.
    »Du warst
einfach zuviel für ihn«, meinte eine der Damen, und die nur mit Gürtel und
Seidenstrümpfen bekleidete Jolanta entgegnete: »Vielleicht hat er nur zuviel
getrunken.«
    Auf dem ganzen
Flur stürzten Männer, ihre Kleider unter den Armen, mit gesenkten Köpfen aus
den Zimmern, mit Bewegungen, die so abrupt waren wie die aufgeschreckter Vögel.
    »Er ist noch zu
jung, um tot zu sein«, sagte Frau Taschy, woraufhin sich die Männer noch
ängstlicher an ihr vorbeizudrücken schienen. Als hätten sie nie zuvor daran
gedacht: Bumsen kann gefährlich sein.
Sogar junge Menschen können daran sterben!
    Dieser Gedanke
war keineswegs überraschend für Trumper, der jetzt so zuversichtlich ganz
hinunter und auf den nach Sex riechenden Flur ging, als habe sich sein Gehirn
inzwischen an die Lage angepaßt und die Gestalt im Fenster als sein eigenes
Spiegelbild erkannt oder als sei er Schlafwandler. Er war sich nicht sicher, ob
er nicht einer war.
    [321]  Die
Hure sagte: »Er ist am ganzen Körper kalt geworden. Ganz kalt. «
Doch Frau Taschy, die in der Tür zum Zimmer des vom Schlag getroffenen Bumsers
stand, sagte plötzlich: »Er hat sich bewegt! Eben hat er sich bewegt!«
    Etwa die Hälfte
der Menge rückte von der Tür ab, und die andere Hälfte kam näher heran, um
besser sehen zu können.
    »Er hat sich
schon wieder bewegt!« verkündete Frau Taschy.
    »Fassen Sie ihn
an«, sagte die Hure, die an dem Ereignis beteiligt war. »Fühlen Sie doch, wie
kalt er ist.«
    »Ich faß ihn
nicht an, darauf kannst du deinen Kopf wetten«, schnaubte Frau Taschy. »Guck doch,
wie er sich bewegt!«
    Trumper kam
näher; über eine warme, parfümierte Schulter schaute er durch die Tür und
erhaschte den erschreckenden Anblick eines zitternden, weißen Hintern auf einem
zerwühlten Bett; dann wurde das Gedränge vor der Tür dichter, und er konnte
nichts mehr sehen.
    »Polizei!«
schrie jemand, und ein Mann, seine Kleider in einem Bündel unter dem Arm,
stürmte nackt aus einem Zimmer, starrte auf die Menge und verschwand wieder im
Zimmer. »Polizei!« verkündete noch einmal jemand, als drei Polizisten Seite an
Seite ins Foyer kamen, im Gleichschritt – der breiteste sicher und geschützt in
der Mitte. Auf dem Weg zum Tatort rissen sie alle Türen auf. Der in der Mitte
starrte geradeaus und bellte: »Keiner verläßt das Haus!«
    »Jetzt setzt er
sich auf«, sagte Frau Taschy in der Tür.
    »Was ist denn
passiert?« fragte der Polizist in der Mitte.
    Jolanta sagte:
»Er ist weggetreten. Er ist ganz kalt geworden, auf mir drauf.« Doch als sie
auf ihn zuging, hielt sie einer der beiden anderen Polizisten zurück.
    »Treten Sie
zurück«, sagte er. »Treten Sie alle zurück.«
    »Was ist hier
vorgefallen?« fragte der Polizist in der Mitte. Seine langen Handschuhe warfen
Falten, als er die Handgelenke in die Hüften stützte.
    [322]  »Mein
Gott, lassen Sie mich doch«, sagte die abgeblockte Hure. »Ich werd’s Ihnen
erzählen.«
    Der gleiche Polizist,
der sie eben abgeblockt hatte, meinte: »Na gut, dann tun Sie’s.«
    Da schrie Frau
Taschy: »Er steht auf! Er ist nicht tot! Er war überhaupt nicht tot!« Doch aus
dem folgenden Krachen und Stöhnen schloß Bogus, daß die Wiederbelebung nicht
von Dauer gewesen sein konnte.
    »Ach du lieber
Gott«, murmelte Frau Taschy.
    Dann ertönte
seine Stimme vom Boden her, eine Stimme, die langsam auftaute und sich durch
die klappernden Zähne quälte. »Ich bin nicht betrunken!« sagte die Stimme. »Ich
bin zuckerkrank.«
    Der Polizist in
der Mitte teilte die Menge vor der Tür und stolzierte ins Zimmer, trat dabei
auf die ausgestreckte Hand der blassen Gestalt, die sich auf der Schwelle
krümmte und mit der anderen Hand schwach nach einem kleinen Bündel Plaketten,
die um ihren Hals baumelten, tastete.
    »Was Sie sehen,
ist eine Insulinreaktion!« tönte die Gestalt. Die Stimme klang wie vom Tonband,
wie von einem Anrufbeantworter.
    »Geben Sie mir
Zucker, schnell!« kreischte die Stimme.
    »Ach ja«, sagte
der Polizist. »Zucker. Na klar.« Und er bückte sich und zog

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