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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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schien darauf zu reagieren; im
Gegenteil, einige aus der Menge wandten sich ab, als wäre ihnen das Ganze
furchtbar peinlich und als rechneten sie jeden Augenblick damit, daß er sich
seiner Kleider entledige.
    Draußen ging
ihm der Polizist ein paar Querstraßen weit hinterher – zweifellos wollte er
sehen, ob er sich vor ein Auto stürzte oder in ein Schaufenster sprang. Doch
Bogus ging mit schnellem, zielsicherem Schritt, und der Polizist blieb zurück
und verschwand schließlich. Trumper war nun wieder allein, er umging den Graben
auf kleinen, sicheren Seitenstraßen; er brauchte eine Zeitlang, bis er das
Kaffeehaus ›Leopold Hawelka‹ fand, und zögerte, ehe er hineinging, als würde er
alle, die darin saßen, kennen, so, als sei er mit der Suche nach Merrill
Overturf seit seiner Umfrage hier noch keinen Schritt weitergekommen.
    Drinnen sah er
den nervösen Kellner und lächelte ihm zu. Er sah die junge Frau, die Merrill
früher mal gekannt hatte. Er sah die vollbusige Frau mit dem neongrünen
Lidschatten, die Höhlenmama, die eine Runde von Schülern anlernte. Worauf er
nicht so recht vorbereitet war, war der bärtige Prophet, der fast versteckt hinter
der Tür saß – wie einer der Rausschmeißer, die einen in [328]  Amerika nach dem Ausweis fragen, oder wie
einer der klugscheißerischen Kartenabreißer bei Pornofilmen. Als der Prophet
mit lauter Stimme das Wort ergriff, wirbelte Bogus herum, um zu sehen, wer da
so brüllte.
    »Merrill
Overturf!« tönte der Prophet. »Nun, hast du ihn gefunden?« Ob es der Klang der
Stimme war oder die Tatsache, daß sie Bogus mitten in der Bewegung erstarren
ließ, jedenfalls schienen alle Gäste im ›Hawelka‹ zu glauben, die Frage sei an
sie gerichtet; sie erstarrten ebenfalls, blieben regungslos vor ihrem Kaffee
sitzen, stierten versunken in Tee mit Rum, Bier und Branntwein, hielten sogar
beim Kauen inne.
    »Also, hast du
ihn?« fragte der Prophet ungeduldig. »Merrill Overturf war doch der Name, oder?
Den hast du doch gesucht? Hast du ihn gefunden?«
    Das ganze
›Hawelka‹ wartete auf eine Antwort. Bogus schreckte zurück; er fühlte sich wie
eine Filmspule, die vor dem Ende noch mal zurückgedreht wird.
    »Also?« fragte
das Neon-Mädchen sanft. »Haben Sie ihn gefunden?«
    »Ich weiß
nicht«, antwortete Trumper.
    »Du weißt es
nicht?« donnerte der Prophet.
    Mit
erdrückendem Mitleid in der Stimme bat ihn das Neon-Mädchen: »Kommen Sie,
setzen Sie sich hin. Sie sollten auf andere Gedanken kommen. Ich weiß…«
    Doch er
wirbelte sich und seinen unförmigen Koffer in Richtung Tür, rammte ihn dem
Kellner in die Leistengegend, woraufhin der adrette, flinke Mensch
zusammenklappte, nachdem er einen Augenblick lang mit den auf dem Tablett hin
und her rutschenden Kaffeetassen und Biergläsern einen bravourösen Balanceakt
vorgeführt hatte.
    Der Prophet
wollte Bogus an der Tür packen, doch er schlüpfte an ihm vorbei und hörte noch,
wie der Prophet verkündete: »Der muß aber auf’m Trip sein…« Ehe die Tür zufiel,
hörte er den [329]  Propheten
noch rufen: »Du kommst schon wieder runter von deinem Trip…«
    Vor dem
›Hawelka‹ berührte jemand seine Hand, fast freundschaftlich.
    »Merrill?«
wimmerte Bogus.
    »Gra! Gra!« sagte der Mann, drehte sich
gekonnt wie ein Footballspieler um und wuchtete Trumper ein Päckchen in den
Magen. Als er sich wieder aufrichtete, war der Mann verschwunden.
    Er trat an die
Bordsteinkante und hielt das Päckchen ins Licht; es war ein kompaktes Päckchen,
in weißes Papier gewickelt, mit weißen Bindfäden verschnürt. Er knotete es auf.
Der Inhalt sah im Neonlicht aus wie Schokolade, glatt und dunkel, fühlte sich
nur etwas klebrig an und roch nach Pfefferminz. Ein Stück Karamelbonbon mit
Menthol? Seltsames Geschenk. Dann beugte er sich darüber, schnupperte und
leckte daran. Es war reines Haschisch, ein rechteckiges Stück, etwas größer als
ein Ziegelstein.
    Ein Tosen erhob
sich in seinem Kopf, als er sich vorzustellen versuchte, wieviel das wert war.
    Hinter der
beschlagenen Fensterscheibe im ›Hawelka‹ sah er eine Hand ein Guckloch frei
reiben. Eine Stimme gab drinnen bekannt: »Er ist noch da.«
    Das änderte er
besser schleunigst. Eigentlich wollte er nicht zurück auf den breiten Graben
gehen; es war nur zufällig die Richtung, in die er lief, die ihn auf diese
glitzernde, verhurte Straße führte. Er stopfte den Haschischblock in seinen
Koffer.
    Eigentlich
wollte er auch niemanden ansprechen; nur als er

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