Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
Verständnis des religiösen Pessimismus in den Werken der
norwegischen, schwedischen, dänischen, isländischen und färöischen Dichter
unmöglich, wenn man sich nicht die Mühe macht, die wenigen Übersetzungen, die
bereits vorliegen, zu aktualisieren, und weiterhin Anstrengungen [404] unternahm, die noch
unübersetzten Werke aus dem Altostnordischen, Altwestnordischen und
Altniedernordischen zu übersetzen«. Dr. Wolfram Holster kommentierte dies mit
den Worten, die Zeit sei nun wirklich »reif« für Akthelt und Gunnel.
In einem
Nachsatz fügte er noch eine kleine Aufmunterung hinzu, da er von meiner
»Situation« gehört habe. Er führte aus: »Ein Doktorvater hat selten Zeit und
Muße, sich mit den emotionalen Problemen seiner Doktoranden zu befassen;
dennoch meine ich, daß ein Doktorvater angesichts eines so prekären und
notwendigen Projekts auf eine etwas persönlichere Art und Weise reagieren, daß
er ebensoviel konstruktive Nachsicht wie konstruktive Kritik einbringen muß.«
Seine Folgerung: »Bitte lassen Sie mich wissen, Fred, wie es mit Akthelt und Gunnel steht.«
Worauf ich in
der kleinen Krankenhaustoilette erst in Gelächter, dann in Tränen ausbrach. Ich
warf Holsters Brief in die Toilette, was mir den Mut gab, darauf zu pissen.
Während ich
benommen Europa durchkreuzte, hatte ich Holster zweimal geschrieben. Einmal
einen langen Lügenbrief, in dem ich meine Nachforschungen über die tragische
Gestalt der isländischen Königin Brünhilde und ihre mögliche Beziehung zu der
Königin der dunklen See in Akthelt und
Gunnel darstellte.
Natürlich gibt es keine Königin der dunklen See in Akthelt und Gunnel.
Meine zweite
Kommunikation mit Holster fand in Form einer Karte statt, die einen kleinen
Ausschnitt aus Brueghels großartigem Werk »Der Bethlehemitische Kindermord«
zeigte. Kinder und Babys werden den Armen ihrer Mütter entrissen; den Vätern,
die sie festhalten wollen, werden die Hände abgehackt. »Hallo!« hatte ich auf
die Karte geschrieben. »Hier ist es ganz toll!«
Nach einer Weile kam eine der Schwestern an die Toilettentür,
um zu fragen, ob alles in Ordnung sei. Sie führte mich zurück zum Bett, wo ich
auf Vigneron warten mußte, der mich entlassen sollte.
[405] Ich
sah den Rest der Post durch. Ein dicker Brief von Couth, lauter Dokumente über
die Scheidung; ich sollte sie unterschreiben. In einem kurzen Begleitbrief riet
Couth mir, sie besser gar nicht zu lesen; sie seien »geschmacklos« formuliert,
schrieb er, damit die Scheidungssache auch ernst genommen wurde. Ich wußte
nicht, wer da etwas ernst nehmen mußte, schlug deshalb seinen Rat in den Wind
und las ein wenig darin herum. Da stand etwas über meine »unmäßigen und
verwerflichen ehebrecherischen Aktivitäten«. Erwähnt wurde auch meine »brutale
und unmenschliche Verweigerung jeglicher Verantwortung« sowie mein »herzloses
Verlassen, das von Charakterlosigkeit zeugt«.
Es schien
bereits ein fait accompli , also unterschrieb ich alles. Es
gehört nicht viel dazu, Sachen zu unterzeichnen.
Der Rest meiner
Post war gar keine Post. Das heißt, es steckte zwar in einem Briefumschlag,
aber es kam von Ralph, und es klebte auch keine Briefmarke drauf. Ein Geschenk
zur guten Besserung? Ein Gag? Ein niederträchtiges Symbol?
Es war eine Art Ehrenurkunde.
ORDEN VOM GOLDENEN SCHWANZ
Hiermit Sei Öffentlich Bekanntgegeben
Daß
FRED BOGUS TRUMPER
Der Sich Mit Außergewöhnlicher Tapferkeit, Bravour, Heldenmut
Und Phallischer Phurchtlosigkeit Beherzt Der Chirurgischen Korrektur Seines
Membrum Virile Unterzog, Wobei Er Eine Furchtbare Urethrektomie Mit 5 (In
Worten: Fünf) Stichen Erfolgreich Durchlitt, Hiermit Zum Ritter
[406] Der Bruderschaft Des Ordens Vom Goldenen Schwanz Geschlagen Wird
Und Nunmehr Zu Allen Damit Verbundenen Privilegien Und Prahlereien Berechtigt Ist.
Es war sogar unterzeichnet, von Jean-Claude Vigneron, als
verantwortlichem Chirurgen, und von Ralph Packer, Oberschriftführer und
Oberschwanz des Ordens. Doch wo, so fragte ich mich, war die Unterschrift von
Tulpen, der Oberkurtisane?
Trumper wirkte noch immer übergeschnappt und verrückt, als
Vigneron hereinkam, um ihn zu entlassen.
»So, es ist
optimal gelaufen«, sagte Vigneron. »Und Sie haben keine allzu großen Schmerzen
beim Wasserlassen?«
»Es ist alles
in Ordnung«, gab Trumper zur Antwort.
»Sie müssen
aufpassen, daß sich die Fäden nicht in Ihrer Unterwäsche oder der Bettwäsche
verfangen«,
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