Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
ja,
irgendwas Besonderes, willst du so was kaufen?«
»Mein Gott,
vergiß es«, sage ich. »Ich hab mir nur überlegt, wieviel wir noch haben, das
ist alles…«
[68] »Also
ehrlich, Trumper, du mußt schon sagen, was du willst.«
Richtig, ich
sollte mich an die Tatsachen halten. Genau das meint sie.
Aber ich glaube
ganz im Ernst, die Tatsache, daß ich den Tatsachen aus dem Weg gehe, hat
genausoviel damit zu tun, daß ich ihrer Wichtigkeit mißtraue, wie damit, daß
ich oft lüge. Ich glaube nicht, daß Statistiken in meinem Leben jemals von
Bedeutung waren.
Als mir meine
Mutter noch schrieb, fragte sie mich immer, ob es uns auch an nichts fehle. Sie
machte sich Sorgen, ob wir einen Nachttopf für Colm hatten. Wenn wir einen
hatten, ging’s uns ja gut. Mein Vater hat mir mal Winterreifen vorgeschlagen;
mit Winterreifen bräuchten wir uns nicht vier Monate lang Sorgen zu machen. Ich
stellte mir vor, wie ihre Freunde sie fragten, wie es uns denn gehe; mein Vater
würde die Winterreifen erwähnen, und meine Mutter würde das Gespräch auf den
Nachttopf bringen. Was hätten sie sonst sagen sollen?
Neulich fragte
mich mein Vater während eines kurzen Telefongesprächs, wie ich meine Rechnungen
bezahle. »Mit Schecks«, gab ich ihm zur Antwort (ich glaube, so macht es
Tulpen). »Man soll schließlich kein Bargeld mit der Post verschicken.« Doch er
fragte mich, als sei das das einzige, was er wissen müßte – als wüßte er dann
auch über mich Bescheid.
Gewohnheiten
sind aufschlußreicher als Tatsachen!
Zum Beispiel
hatte ich einmal ein Tonband, das mein Freund war. Ich schrieb früher auch
Briefe an meine Frau; ich meine, ich habe Biggie geschrieben, als wir noch
zusammenlebten. Natürlich habe ich ihr diese Briefe niemals gegeben; es waren
also auch gar keine richtigen Briefe; wichtig war die Gewohnheit, sie zu
schreiben.
Einen habe ich
Tulpen gezeigt.
[69] Iowa City, den 5. Okt. 1969
Ich denk an dich, Colm – mein einziges Kind. Und auch an dich,
Biggie – diese weißen Krankenhauskittel stehen dir nicht. Wie du morgens um
sechs aufstehst; deine schönen, muskulösen Arme greifen nach dem Wecker; dein
warmer Rücken, wie er gegen meinen Körper zurücksinkt.
»Ein neuer Tag«,
murmle ich.
»Oh, Bogus«,
sagst du. »Weißt du noch, was uns damals in Kaprun beim Aufwachen erwartete?«
»Der ganze
Schnee, der sich vor dem Fenster auftürmte«, murmele ich mechanisch. »Ein
bißchen unter der Fensterleiste, ein paar Flocken auf dem Fensterbrett…«
»Und der
Frühstücksduft!« rufst du aus. »Und die ganzen Skier und Stiefel unten im
Flur…«
»Nicht so laut,
Big«, sage ich. »Du weckst Colm auf…«, dessen fröhliches Quaken genau in diesem
Augenblick auf dem Flur ertönt.
»Schrei ihn
nicht an, wenn ich weg bin«, sagst du, Big – und dann bist du aus dem Bett
heraus und deckst mich wieder schön zu. Du hüpfst über den kalten Fußboden,
deine großen, straffen Brüste schauen der Morgensonne entgegen, sie zeigen über
den Flur, hinüber zum Küchenfenster (welches Symbol dahintersteckt, weiß ich
nicht).
Dann, Big,
legst du dir den BH um wie einem Pferd das Zaumzeug. Der verdammte Krankenhauskittel knistert kalt
über deinen Körper, und dann ist meine Biggie weg, anästhesiert, keimfrei; in
deinem Kittel bist du so unförmig wie eine Dextroseflasche, die dich gleich
empfangen wird, mit dem Kopf nach unten hängt sie da und tröpfelt ihre zuckrige
Kraft in die alten Leute hinein.
[70] In
der Krankenhauscafeteria ißt du eine Kleinigkeit und hältst ein Schwätzchen mit
den anderen Schwesternhelferinnen. Sie reden darüber, wann ihre Männer gestern
nacht heimgekommen sind, und ich weiß, du erzählst ihnen: »Mein Bogus geht mit
unserem Colm zu Bett. Und letzte Nacht hat er mit mir geschlafen.«
Doch letzte
Nacht, Biggie, hast du gesagt: »Dein Vater ist ein Arsch.«
Und ich habe
dich dieses Wort noch nie so aussprechen hören. Ich war natürlich einer Meinung
mit dir, und du hast mich gefragt: »Was sollst du ihm denn beweisen?«
Ichsagte:
»Daß ich in der Lage bin, voll auf die Schnauze zu fliegen.«
»Auf der liegst
du doch schon«, sagtest du, Big. »Was will er denn noch?«
»Er scheint
darauf zu warten«, antwortete ich, »daß ich ihm sage, er habe die ganze Zeit
recht gehabt. Er will, daß ich auf Knien angerutscht komme und ihm die
gepuderten Arztschuhe ablecke. Dann muß ich sagen: ›Vater, ich will einen
anständigen Beruf ergreifen.‹«
»Das ist
überhaupt
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