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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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ich schauen, ob die Haustür auch
abgesperrt ist: In Iowa gibt’s mehr als Mais und Schweine – zumindest könnte es
mehr geben.
    »Kommst du
heute noch ins Bett?« rufst du.
    »Ich komm
schon! Bin schon auf dem Weg, Big!« versichere ich dir.
    Bogus Trumper
mußte nur noch schnell überall nachschauen, doppelt und dreifach. Man kann ihn
vielleicht als unaufmerksam bezeichnen, keinesfalls aber als unvorsichtig.
    Tulpen zeigte sich von meinem Brief an niemanden unbeeindruckt.
»Mein Gott, du hast dich kein bißchen verändert«, war ihr Kommentar.
    »Ich führe
jetzt ein neues Leben«, sagte ich. »Ich bin ein anderer Mensch.«
    »Früher hast du
dir Sorgen um eine Maus gemacht«, meinte sie. »Und jetzt um Wasserschildkröten
und Fische.«
    Das saß. Sie
lächelte über mein Schweigen und lupfte, nur ganz sachte, mit dem Handrücken
eine Brust. Manchmal könnte ich ihr wirklich eine scheuern, wenn sie das tut!
    Aber es stimmt.
Ich sorge mich wirklich um die Wasserschildkröten und die Fische. Allerdings
nicht so, wie ich mich damals um die Maus gesorgt habe. Diese Maus lebte in
ständiger Gefahr; ich trug die Verantwortung dafür, daß sie nicht in Biggies
Falle endete. Doch Tulpen kümmerte sich bereits um die Fische und die
Wasserschildkröten, als ich bei ihr einzog. Ihr Bett ist auf drei Seiten mit
Bücherregalen umgeben, bis in Hüfthöhe. Wir sind in Wörter eingemauert. Und auf
den Bücherregalen stehen diese gurgelnden Aquarien, ein Wasser-U. Die ganze
Nacht über gluckern sie. Durch Unterwasser-Neonröhren werden sie Tag und [74]  Nacht beleuchtet. Ich gebe
zu, daß es ganz praktisch ist, wenn ich aufstehe und pinkeln gehe.
    Doch an die
Atmosphäre, die diese Einrichtung hervorruft, muß man sich erst gewöhnen. Im
Halbschlaf fühlt man sich regelrecht unter
Wasser, in
gespenstische Farben eingetaucht, mit Wasserschildkröten und Fischen um einen
herum.
    Sie füttert die
Wasserschildkröten mit einem Stück Steak, das sie an einem Bindfaden ins Wasser
hinabläßt; die ganze Nacht nagen sie an dem ins Wasser baumelnden Stück
Fleisch; am nächsten Morgen ist der Klumpen grau, wie eine tote Masse, und
Tulpen nimmt es heraus. Gott sei Dank füttert sie sie nur einmal die Woche.
    Und einmal hab
ich mir eingebildet, der Mann in der Wohnung über uns baue eine Bombe. (Er
werkelt nachts mit elektrischen Sachen herum; man hört ein merkwürdiges Brummen
und Knattern, und das Licht im Aquarium wird manchmal ganz schwach.) Wenn diese
Bombe explodiert, werden wir im Schlaf noch im Wasser dieser Aquarien
ertrinken.
    Eines Nachts,
von derartigen Gedanken aufgeschreckt, überlegte ich mir, ob ich nicht Dr.
Jean-Claude Vigneron anrufen sollte. Zum einen habe ich eine Beschwerde: Die
Wassermethode funktioniert nicht richtig. Aber, was noch wichtiger ist, ich wollte
einfach nur die Stimme eines selbstsicheren Mannes hören. Und vielleicht würde
ich ihn fragen, wieso er so verdammt selbstsicher war. Aber ich glaube, noch
mehr hätte es mir gefallen, hätte ich ihn auf irgendeine Weise schockieren,
seine Selbstsicherheit ins Wanken bringen können. Ich dachte daran, ihn mitten
in der Nacht anzurufen. »Dr. Vigneron?« würde ich sagen. »Mir ist soeben der
Schwanz abgefallen.« Nur, um zu sehen, was er dazu sagt.
    Ich erzählte
Tulpen von meinem Plan. »Weißt du, was er sagen würde?« fragte sie. »Legen Sie
ihn in den Kühlschrank, und lassen Sie sich morgen früh von meiner
Sprechstundenhilfe einen Termin geben.«
    [75]  Obwohl
ich vermute, daß sie damit recht hatte, war ich froh, daß sie in diesem
Augenblick nicht ihre Brust lupfte. Dazu ist sie zu einfühlsam. Dieses eine Mal
schaltete sie die Aquariumbeleuchtung aus.

[76]  10
    Wir wollen bestimmte Statistiken
nicht aus den Augen verlieren
    Die Erinnerung an die süße kleine Lydia Kindle, die, verzückt
vom Anfängerkurs Deutsch, Balladen oder sogar Opern in der Muttersprache
ins Ohr gesummt bekommen wollte, bereitet ihm Kummer. Er hat
ihr den Gefallen getan und ein Tonband ganz allein für sie zusammengestellt.
Mit tiefer, kehliger Stimme lullte Bogus Trumper sie mit seinen
Lieblingsliedern ein. Es sollte eine Überraschung werden. Eines Nachmittags gab
er ihr das Band.
    »Extra für Sie,
Miss Kindle. Einige Lieder, die ich kenne…«
    »Oh, Mr.
Trumper!« hauchte sie und hastete zu den Ohrhörern. Er sah über den Rand der
Sprachlaborkabine, wie sich ihr kleines Gesicht mit den großen Augen
konzentrierte. Anfangs schien sie sehr eifrig; dann verzog sie

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