Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
kritisch ihren
hübschen kleinen Mund; sie hielt das Band an – unterbrach seine, Trumpers,
Rhythmen! –, spulte zurück, ließ es nochmals ablaufen und hielt es wieder an.
Sie machte sich Notizen. Er ging zu ihr hinüber und fragte, ob etwas nicht
stimme.
»Das ist doch
falsch, oder?« Sie zeigte auf ihre elfengleiche, zierliche Handschrift. »Es
heißt nicht mude, sondern müde. Aber
der Sänger kriegt den Umlaut kein einziges Mal hin.«
» Ich habe es gesungen«, gab er gequält zu. Es fällt so schwer, sich von der Jugend
kritisieren zu lassen. Und er sagte schnell: »Deutsch ist nicht meine beste
Fremdsprache. Eigentlich habe ich mehr mit den skandinavischen Sprachen zu tun – wie mit Altniedernordisch. Ich fürchte, mein Deutsch ist ein wenig
eingerostet. Ich dachte nur, Ihnen würden die Lieder gefallen.« Er war dem
herzlosen Kind entsetzlich gram.
[77] Doch
dann piepste sie mit einer so hohen Stimme, als würde ihr jemand den Hals
zudrücken oder sie küssen: »Oh, Mr. Trumper. Es ist wirklich ein wunderschönes
Band. Sie haben nur das müde nicht ganz hingekriegt. Und die
Lieder finde ich hinreißend. Sie haben eine so schöne, mächtige
Stimme.« Und er dachte: Eine mächtige Stimme?
Aber er sagte
nur: »Sie können das Band behalten.« Und zog sich zurück, ließ sie, völlig
perplex, allein in ihrer Kabine. Jetzt träumte sie unter den Ohrhörern.
Als er das
Sprachlabor am späten Nachmittag schloß, kam sie hinter ihm hergehüpft – ganz
vorsichtig, um ihn nicht mit ihrem dünnen, seidigen Kleid zu berühren.
»Gehen Sie in
die Mensa?« zirpte sie.
»Nein.«
»Ich geh auch
nicht hin«, sagte sie, und er dachte: Sie ißt ihr Abendessen aus Futterspendern
in Vogelkäfigen, hüpft quer durch die ganze Stadt von einem zum anderen.
Aber er fragte
nur: »Und wo gehen Sie hin?«
»Ach, ich weiß
nicht.« Sie strich sich durch ihr helles, dünnes, nervöses Haar. Als er nichts
mehr sagte, begann sie schmeichelnd: »Sagen Sie, wie klingt Altniedernordisch?«
Er sagte ihr
ein paar Worte: »Klegwoerum,
vroognaven, okthelm, abthur, uxt.« Ihm war, als erschaudere sie. Eine leichte Brise preßte einen
Moment lang ihr schimmerndes Kleidchen eng an sie, dann ließ sie es wieder frei
flattern. Trumper hoffte, daß sie aufrichtig war.
Da er selbst so
oft unaufrichtig war, mißtraute er den Motiven anderer Menschen. Seine eigenen
Motive hielt er für verwerflich. Diese kleine Unschuld vom Lande in Gedanken zu
verführen, während sich die eigene Frau – Lady Spül, die Herrin seines
Haushalts – mit viel banaleren Problemen herumschlug.
[78] Biggie
wartet im Supermarkt in der Schlange an der Kasse FÜR KUNDEN MIT WENIGER ALS ACHT ARTIKELN. Sie hat weniger als acht Artikel, mehr kann sie sich nicht leisten. Sie lehnt
über dem Einkaufswagen; ein altbekannter, sportlicher Trieb überkommt sie; der
Drang nach Riesenslalom. Sie stellt die Füße eng zusammen, einen etwas nach
vorn, verlagert ihr Gewicht auf den Talski und bringt die Knie in eine federnde
Position. Immer noch über den Einkaufswagen gelehnt, wedelt sie sich nun in der
Schlange weiter nach vorn. Eine runde, unförmige Hausfrau hinter ihr schaut
diesem auffälligen Wackeln indigniert zu; durch die Stretchhosen zeichnet sich
Biggies pralles, festes Hinterteil ab. Der Mann der Hausfrau bemüht sich, nicht
hinzuschauen, tut so, als sei auch er empört. In Biggies Wagen sitzt Colm und
hat schon eine Tüte Bonbons aufgemacht.
Jetzt die
Konfrontation mit der Kassiererin, die vom hektischen Freitagabend-Einkaufsrummel
müde und verschwitzt ist. Beinahe hätte sie Biggies Scheck anstandslos
akzeptiert, aber diesen Namen vergißt man nicht so schnell. Trumper bedeutet: vorsichtig sein! Sie schaut in einer unheilverkündenden Liste nach
und sagt: »Warten Sie bitte einen Augenblick, Madam.«
Auftritt des
Geschäftsführers, in einem kurzärmeligen, bügelfreien Sommerhemd aus so dünnem
Stoff, daß einige seiner krausen Brusthaare durch das Gewebe dringen. »Ihr Name
steht auf meiner Liste, gnädige Frau«, erklärt er.
Biggie wedelt.
»Häh?«
»Ihr Name steht
hier auf der Liste«, wiederholt der Geschäftsführer. »Bei uns können Sie Ihren
Scheck nicht einlösen. Leeren Sie bitte den Wagen wieder aus…«
»Natürlich kann
ich den Scheck hier einlösen«, erklärt Biggie ihm. »Machen Sie zu. Die Leute
warten.« Doch denen macht das Warten in der Schlange jetzt nichts mehr aus;
hier wird es gleich eine häßliche kleine Szene geben.
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