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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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nicht lustig, Bogus«, sagtest du. Und ich hatte gedacht, von dir
würde ich immer einen Lacher bekommen.
    »Es ist das
letzte Jahr, Big«, hab ich dir gesagt. »Wir gehen wieder nach Europa. Du wirst
wieder Ski laufen.«
    Doch du sagtest
nur: »Verdammt.« So habe ich dich dieses Wort noch nie aussprechen hören.
    Dann hast du
dich im Bett mit einem Ruck von mir abgewendet und eine Skizeitschrift von hinten
nach vorne durchgeblättert, obgleich ichdir schon
hundertmal gesagt habe, daß das keine Art ist, eine Zeitschrift zu lesen.
    Wenn du liest,
Big, ruht dein Kinn auf dem Brustkorb; deine dicken, honigfarbenen,
schulterlangen Haare fallen nach vorn und bedecken deine Wangen, und nur deine
Nasenspitze schaut noch heraus.
    [71]  Aber
immer ist es eine Skizeitschrift, nicht wahr, Biggie? Vielleicht steckt gar
keine böse Absicht dahinter, du willst mich nur daran erinnern, was ich dir
genommen habe, nicht wahr? Wenn du auf das unvermeidliche Alpenszenario stößt,
sagst du: »Oh, sieh mal, Bogus. Da waren wir doch auch, oder? Das ist doch bei
Zell oder – nein! Maria Zell heißt es, oder? Guck doch mal, wie sie alle aus
dem Zug steigen. Meine Güte, sieh mal, die Berge, Bogus…«
    »Biggie, wir
sind jetzt in Iowa«, versuche ich dir klarzumachen. »Wir können ja morgen in
die Maisfelder hinausfahren und einen kleinen Hügel suchen. Es wäre allerdings
einfacher, ein Schwein mit einem langen, geschwungenen Rücken zu finden. Wir
können es mit Lehm beschmieren, ich halte ihm die Schnauze hoch, und du fährst
dann zwischen seinen Ohren bis zum Schwanz runter. Keine lange Abfahrt, aber
immerhin…«
    »Das will ich
doch gar nicht«, sagst du. »Ich wollte nur, daß du dir das Bild ansiehst.«
    Aber warum kann
ich dich nicht zufriedenlassen?
    Ich mache
weitere Vorschläge. »Ich könnte dich mit dem Wagen ziehen, Big. Du kannst durch
die Maisfelder Slalom laufen, Fasane aufstöbern! Morgen laß ich in den Caravan
einen Allradantrieb einbauen.«
    »Ach, komm schon«,
sagst du; deine Stimme klingt müde.
    Unsere
Nachttischlampe knistert, flackert und geht aus; im Dunkeln flüsterst du: »Hast
du die Stromrechnung bezahlt, Bogus?«
    »Es ist nur
eine Sicherung«, sage ich, stehe auf, verlasse die warme Mulde, die du in unser
Bett gewühlt hast, und tapse in den Keller hinunter. Eigentlich ganz gut, daß
ich jetzt hier bin, denn ich war den ganzen Tag noch nicht im Keller, um die
Mausefalle zuschnappen zu lassen, auf der du bestehst, wegen der Maus, die ich
nicht fangen will. Also rette ich die Maus ein weiteres Mal und wechsele die
Sicherung aus – es ist immer die gleiche, die durchbrennt, der Himmel weiß,
warum.
    [72]  Von
oben rufst du herunter: »Die war’s! Es ist wieder an! Du hast sie erwischt!«
Als sei ein Wunder geschehen. Und wenn ich wieder zu dir ins Bett komme, hast
du deine kräftigen, hellen Arme über der Brust verschränkt und strampelst unter
der Bettdecke mit den Füßen. »Jetzt wird nicht mehr gelesen«, sagst du mit
einem feurigen Blick, und deine Füße strampeln und strampeln.
    Oh, ich weiß,
du willst nur mein Bestes, Big, aber ich weiß auch, daß das mit den Füßen eine
alte Skiläuferübung ist, gut für die Fußgelenke. Du kannst mich nicht täuschen.
    Ich sage: »Ich
bin gleich da. Laß mich nur noch schnell nach Colm sehen.«
    Ich schaue mir
immer eine Zeitlang an, wie er schläft. Was mich an Kindern beunruhigt, ist,
daß sie so verletzlich aussehen, so zerbrechlich. Colm: Ich stehe nachts auf,
um mich davon zu überzeugen, daß du noch atmest.
    »Ehrlich, Bogus, er ist ein vollkommen gesundes Kind.«
    »Du hast völlig
recht, Big. Aber er kommt mir so klein vor.«
    »Er ist groß
genug für sein Alter, Bogus.«
    »Ja, ich weiß,
Big. Das meine ich auch nicht…«
    »Also weck ihn
bitte nicht auf mit deiner gottverdammten Nachguckerei!«
    Und manchmal schreie
ich los: »Big! Er ist tot !«
    »Er schläft, Himmel
noch mal…«
    »Aber guck doch
mal, wie er daliegt«, sage ich unnachgiebig. »Er hat sich das Genick gebrochen!«
    »Du schläfst
genauso, Bogus…«
    Nun ja, wie der
Vater, so der Sohn; ich bin ganz sicher, daß ich jederzeit in der Lage wäre,
mir im Schlaf das Genick zu brechen.
    »Komm wieder ins Bett, Bogus«, lockst du mich zurück in die
warme Mulde.
    [73]  Nicht
daß ich ungern käme. Aber zuerst muß ich noch in den Backofen hineinschauen;
die Zündflamme geht immer aus. Und im Ölofen rumpelt’s; eines Tages werden wir
aufwachen und sind geröstet. Dann muß

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