Die wilde Geschichte vom Wassertrinker
Bennys berühmte automatische Spülung. Es geht das Gerücht,
daß er einen elektrischen Timer eingebaut hat, der das Ding in halbjährlichem
Rhythmus betätigt, damit sich die Wasserpumpe nicht so stark abnutzt. Daß ich
diesem seltenen Erlebnis beiwohnen konnte!
Aber auch der
im Klo hörte es; er spürte, daß jemand da war, und hörte zu weinen auf. Ich
versuchte, mich auf Zehenspitzen zur Tür zu schleichen.
Seine Stimme
drang schwach durch die Klotür: »Sag mal, ist es draußen schon dunkel?«
»Ja.«
[145] »Oh,
Gott sei Dank«, sagt er. »Kann ich jetzt gehen? Sind sie weg?«
Eine plötzliche
Furcht ergriff mich! Ich sah mich um. Wer
waren sie? Ich
suchte unter dem Pissoir nach seltsamen, nassen Männern, die dort lauerten.
»Wen meinst du denn?« fragte ich ihn.
Die
Toilettentür ging auf; er kam heraus und nestelte an seiner Hose. Es war der
schmale, dunkelhäutige Junge, der Dichter mit den lavendelfarbenen Kleidern;
ein Student, der in Root’s Bookstore jobbt; ihm wird abwechselnd nachgesagt, er
sei ein Frauenheld, oder eine Tunte, oder beides.
»Mein Gott,
sind sie jetzt weg?« fragte er. »Oh, vielen Dank. Sie haben
mir gesagt, ich darf nicht gehen, bevor es dunkel ist, aber hier drin gibt’s ja
keine Fenster.«
Bei genauerem
Hinsehen bemerkte ich, daß er übel zusammengeschlagen worden war. Sie hatten
sich in der Männertoilette auf ihn gestürzt und ihm gesagt, er gehöre ins
Damenklo. Dann schubsten sie ihn in die Pinkelrinne und rieben ihm mit dem
Deostein an der Nase herum, rauhten ihm damit das Gesicht auf, bis er so nach
diesem ätzenden Zeug stank, als habe man ihn mit einem uringetränkten Bimsstein
abgerieben. Eine schreckliche Mischung verschiedener Gerüche hing an ihm; in
seiner Jackentasche war eine Flasche Kölnischwasser kaputtgegangen. Wenn man
Parfüm in einen Abort schüttet, kann es nicht schlimmer stinken.
»Meine Güte«,
sagte er. »Sie hatten ja recht. Ich bin schwul,
verdammt noch mal, ja. Aber es hätte ja auch anders sein können. Ich meine, sie
konnten es überhaupt nicht wissen. Ich hab nur dagestanden und gepinkelt. Das
ist doch wirklich nicht unnormal, oder? Ich meine, ich mache doch keine Typen auf
dem Klo an. Das hab ich nicht nötig.«
»Und das
Kölnischwasser?«
»Sie wußten gar
nicht, daß ich es hatte«, erwiderte er. »Und es ist nicht für mich ,
verdammt. Es ist für eine Frau – für meine [146] Schwester. Wir wohnen zusammen. Sie hat mich auf der Arbeit
angerufen und mich gebeten, ihr welches mitzubringen.«
Er konnte kaum
laufen – sie hatten ihm wirklich übel zugesetzt –, und ich sagte, ich würde ihn
nach Hause begleiten.
»Ich wohne
gleich hier um die Ecke«, erklärte er. »Du brauchst nicht mitzukommen. Vielleicht
denken sie sonst noch, du bist auch so einer.«
Doch ich
begleitete ihn durch die Kneipe nach draußen; aus einer Telefonzelle direkt an
der Tür trafen uns die schrägen Blicke eines Paares. Sieh dir mal die zwei
Schwulen an! Einer hat eine Flasche Parfüm getrunken und dann in die Hose
gepinkelt.
Benny stand wie
immer hinter seinen blankpolierten Maßkrügen, in der vielmals geübten Pose
unerschütterlicher Gleichgültigkeit.
»Benny, deine
Pissoirspülung ist eben gegangen«, sagte ich zu ihm. »Mach dir ’n roten Strich
in den Kalender.«
»Nacht, Jungs«,
antwortete Benny, und ein schmächtiger Künstler am Tisch ganz in der Ecke
steckte seine Nase tief in die Schaumkrone auf seinem Bier, um unseren Geruch
zu ertränken.
»Ich dachte mir
schon, daß Iowa schlimm sein würde«, sagte der Schwule zu mir. »Aber daß es so schlimm sein würde, das hätte ich nicht gedacht.«
Wir standen vor
seiner Haustür in der Clinton Street. »Du warst wirklich nett zu mir«, meinte
er. »Ich würde dich ja hereinbitten, aber ich hab was Festes laufen, verstehst
du. So treu war ich noch nie, ehrlich, aber mein Jetziger… na, du weißt schon.
Er ist was ganz Besonderes.«
»Ich bin nicht
so wie du«, erklärte ich ihm. »Hätte sein können, ist aber zufällig nicht so.«
Er ergriff
meine Hand. »Schon okay«, erwiderte er. »Ich weiß schon. Vielleicht ein
andermal? Wie heißt du überhaupt?«
»Vergiß es.«
Ich drehte mich
um, versuchte, seinen Gestank hinter mir zu [147] lassen. Wie er so dastand, auf dieser düsteren
Straße in seinen hellen Kleidern, sah er aus wie ein furchtloser Ritter, der
gerade in eine Stadt kommt, die von der Pest vernichtet ist: tapfer, dumm und
zum Untergang verurteilt.
»Sei nicht
Weitere Kostenlose Bücher