Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
Vom Netzwerk:
von
Sinnen war, das Zeug nicht trinken konnte.
    Als ich mit dem
Aufräumen fertig war, schlief er, und weil ich so wütend auf ihn war, wrang ich
den Putzlappen in sein Ohr aus. Doch er rührte sich nicht, und ich trocknete
sein Ohr wieder, knipste das Licht aus und lauschte im Dunkeln nach seinem
Atem, um sicherzugehen, daß alles in Ordnung war.
    Er war das
große Wunder meines Lebens. Daß ein so selbstzerstörerischer Narr so
unzerstörbar sein konnte! Und obwohl ich traurig war, das große, üppige Mädchen
verloren zu haben, mochte ich Merrill Overturf doch sehr. »Gute Nacht,
Merrill«, flüsterte ich ins Dunkel.
    Als ich hinaus
auf den Flur schlich und die Tür hinter mir zuzog, sagte er: »Dank dir,
Boggle.«
    Und da auf dem
Flur stand, ganz allein, Biggie.
    Sie hatte den
Reißverschluß ihres Parkas wieder zugezogen; es war kalt in den oberen
Stockwerken des ›Tauernhofs‹. Sie stand ein wenig steif da, stellte abwechselnd
einen Fuß auf den anderen, scharrte mit ihnen herum; sie wirkte ein bißchen
verärgert, und ein bißchen scheu.
    »Zeig mir das
Gedicht«, sagte sie.
    »Es ist noch
nicht fertig«, entgegnete ich, und sie sah mich aggressiv an.
    »Dann schreib
es fertig«, sagte sie. »Ich warte…« Und meinte damit, daß sie schon die ganze
Zeit gewartet hatte, sah mich an mit einem Blick, der besagte, daß ich jetzt
ganz schön was leisten müsse, um die Nacht noch zu retten.
    In meinem
Zimmer, das direkt neben Merrills lag, setzte sie sich aufs Bett wie ein Bär,
der sich nicht recht wohl fühlt. Kleine [160]  Nischen und enge Zimmer schmälerten ihre Anmut. Sie fühlte
sich zu groß für dieses Zimmer, für dieses Bett, und außerdem war ihr kalt; sie
ließ den Parka an und wickelte sich in das schwere Plumeau, während ich am
Nachttisch herummurkste und so tat, als kritzele ich ein Gedicht auf ein schon
beschriebenes Blatt Papier. Doch es standen deutsche Worte darauf,
wahrscheinlich vom letzten Gast, der in diesem Zimmer genächtigt hatte, und ich
strich die Worte durch, als redigiere ich meine eigene Arbeit.
    Merrill schlug
mit dem Kopf gegen die Wand zwischen unseren Zimmern; sein erstickter Schrei
drang zu uns: »Oh, vom Skilaufen versteht er nichts, aber mit seinem Stab kann
er umgehen!«
    Biggie saß mit unbewegter Miene auf dem Bett; das große Mädchen
wartete auf sein Gedicht. Also versuchte ich es.
     
    Sie besteht aus Muskeln und Velours,
    verpackt ganz in Vinyl.
    Die Füße in Plastik
    geklemmt an die scharfkant’gen Skier.
    Ihr Haar, unter dem Helm,
    bleibt weich und heiß.
     
    Heiß! Nein, nicht heiß, dachte ich, als mir klar wurde, daß sie
auf dem Bett saß und mich ansah. Bloß kein heißes Haar!
     
    Das Skilaufmädel ist nicht weich,
    nein, schwer und fest wie eine Frucht.
    Die Haut so glatt wie die Apfelschale
    und so fest wie die der Banane.
    Doch im Innern ist sie Mus und Saat.
     
    Ächz! Kann man ein schlechtes Gedicht verbessern? Sie hatte das
Tonband neben meinem Bett erspäht, drehte an den Spulen und [161]  spielte mit den Ohrhörern
herum. Setz sie ruhig auf, bedeutete ich ihr mit einem Blick, dann bekam ich
Angst davor, was sie nun hören würde. Ohne eine Miene zu verziehen, drückte sie
auf die Tasten und tauschte Bänder aus. Weiter
mit dem Gedicht!
     
    Sieh! Wie sie die Stöcke hält!
     
    Nein, um Himmels willen!
     
    Den Berg hinunter rast sie schnell,
    kompakt wie ein Koffer, fest und hart.
    Verpackt sind Leder, Plastik und Metall
    und leisten Starkes. O Anmut, reine!
     
    Und erst die Beine?! Großer Gott, nein!
     
    Doch kommt sie aus der Kälte, mach sie auf:
    auspacken, -wickeln, -ziehen und entkleiden!
    Ihr Inhalt dann: die losen und versteckten
    Dinge, verirrte Dinge, warme Dinge,
    weiche, runde Dinge – erstaunliche
    unbekannte Dinge!
     
    Paß auf! Sie spielte mit den Tonbändern meines Lebens, erforschte es, ließ es
zurücklaufen, hielt es an, ließ es noch mal laufen. Sie lauschte den Liedchen,
den schmutzigen Geschichten, den Unterhaltungen, Polemiken und toten Sprachen
auf meinen Bändern, und wahrscheinlich beschloß sie gerade, zu gehen. Plötzlich
zuckte sie zusammen und stellte den Ton leiser. Ich wußte, bei welchem Band sie
gerade war: Merrill Overturf ließ den Motor seines 54er Zorn-Witwer im Leerlauf
aufheulen. Um Gottes willen, beeil dich mit
dem Gedicht, ehe es zu spät ist! Doch dann nahm
sie die Ohrhörer ab – war sie jetzt an der Stelle angekommen, wo [162]  Merrill und ich unsere
Erfahrungen mit der Bedienung im

Weitere Kostenlose Bücher