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Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Die wilde Geschichte vom Wassertrinker

Titel: Die wilde Geschichte vom Wassertrinker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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Ärzten gesehen habe, und stieß die Nadel etwas zu tief
hinein.
    »Mein Gott, du
hast einen Muskel erwischt«, sagte Merrill, und da ich ihm nicht länger als unbedingt
nötig weh tun wollte, preßte ich den Daumen auf den Kolben, damit das Zeug
möglichst schnell in ihn hineinlief. Doch etwas widersetzte sich dem Druck, und
die trübe Flüssigkeit schien wie ein Teigklumpen in ihn hineinzurutschen. Er
drohte jeden Moment in Ohnmacht zu fallen und setzte sich hin, ehe ich die
Nadel wieder herausgezogen hatte; die Spritze löste sich von der Nadel, und die
blieb in ihm stecken. Er lag stöhnend auf dem Bett, während ich nach der Nadel
suchte und sie herauszog. Dann untersuchte ich ihn nach Frostbeulen, während er
Biggie, die er bis jetzt gar nicht wahrgenommen hatte, anstarrte; ohne daran zu
denken, daß sie es auch verstand, sagte er auf deutsch zu mir: »Hast sie also
gekriegt, Boggle. Gut gemacht, gut gemacht.«
    Doch ich lächelte
zu Biggie hinüber. »Sie hat mich auch gekriegt, Merrill.«
    [170]  »Dann
gratulier ich euch beiden«, erwiderte er, worauf Biggie lächelte. Er schien so
gefroren und verletzlich, daß wir ihn zu uns unter das Plumeau zogen, so daß
die warme Moschusluft, die darunter eingefangen war, ihn aufwärmen konnte,
während wir uns eng an ihn drückten, weil er vor Kälte heftig zitterte. Wir
ließen ihn so lange zwischen uns liegen, bis er zu schwitzen und wohlig
herumzuzappeln begann und meinte, es würde ihm bessergehen, wenn er statt
meiner Biggie ansehen könnte.
    »Ganz bestimmt,
Merrill«, sagte ich. »Aber ich glaub, es geht dir auch so schon besser.«
    »Zumindest geht
es seinen Händen schon besser«, sagte Biggie. »Das
kannst du mir glauben.«
    Später umklammerten seine Hände das Steuer. Während Biggie und
ich ihn von hinten mit Orangen fütterten, steuerte Overturf den stotternden
54er Zorn-Witwer die knirschende Hauptstraße von Kaprun entlang. Es war noch
niemand auf den Beinen, außer einem Postboten, der, um sich aufzuwärmen, neben
seinem Postschlitten herlief und dabei seinem langmähnigen Pferd, das wild
schnaubend eine Auspuffwolke in die Luft schickte, gut zuredete. Weiter oben
taute die Sonne die Kruste auf dem Gletscher, doch in den Dörfern im Tal würde
noch bis zum späten Vormittag alles gefroren bleiben, bedeckt von einer Schicht
silbrigen Staubs, und die Luft war so scharf, daß man sie nur in winzigen Dosen
einatmen konnte. Ganz Kaprun schien in einer so klirrenden Kälte gefangen zu
sein, daß, hätten wir auf die Hupe gedrückt, die Häuser eingestürzt wären.
    Vor dem Hotel
der Skiläufer in Zell warteten Merrill und ich darauf, daß Biggie wiederkam,
sahen zu, wie immer mehr Mitglieder des Männerteams sich auf der Treppe vorm
Hotel versammelten. Alle musterten uns. Wer war Bill? Sie sahen alle gleich
aus.
    »Geh mal lieber
etwas an der frischen Luft spazieren«, meinte Merrill.
    [171]  »Wieso?«
    »Du stinkst«,
sagte Merrill. Richtig! Biggies intensiver Wildhoniggeruch war an mir! »Das
Auto stinkt«, beschwerte sich Merrill. »Mein Gott, hier stinkt alles, als sei
es frisch gebumst!«
    Die Männer auf
der Treppe starrten Merrill an, glaubten, er sei derjenige, welcher.
    »Wenn die uns
angreifen«, sagte Merrill, »glaub nicht etwa, daß ich für etwas den Kopf
hinhalte, was ich gar nicht gemacht hab!« Doch sie schauten uns nur an; einige
Mitglieder der Damenmannschaft kamen aus dem Hotel und gesellten sich dazu.
Dann trat ein sauberer, adretter Mann heraus, älter als die anderen, und
beäugte den 54er Zorn-Witwer, als sei es ein feindlicher Panzer.
    »Das wird der
Trainer sein«, sagte ich, als er die Stufen herunterkam und zur Fahrerseite
ging. Das Seitenfenster war aus Plastik, konnte einfach mit der Hand nach oben
aufgedrückt werden und fiel mit dem klatschenden Geräusch eines nassen Tuches
zu. Merrill drückte es auf, und der Trainer steckte seinen Kopf herein.
    Immer der
Meinung, niemand außer ihm spreche diese Sprache, sagte Merrill auf deutsch:
»Willkommen in der Vagina.« Doch der Trainer schien nicht zu verstehen.
    »Was ist denn
das für ein Auto?« wollte er wissen. Er hatte ein Gesicht wie die
Footballspieler, die es früher einmal auf Kaugummipapierchen gegeben hatte.
Alle trugen sie Helme, und die Kopfform war bei allen gleich, oder vielleicht waren die
Köpfe ja sogar Helme. »Ein Zorn-Witwer, Baujahr 54«, sagte Merrill.
    Dem Trainer
schien das nichts zu sagen. »Von denen sieht man heute aber nicht mehr sehr
viele«,

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