Die wilde Jagd - Roman
vermisse dich, Carianh .
»Du hast ein wenig Gewicht verloren«, ertönte Alderans Stimme von der Tür her.
Gair schaute auf und wandte den Blick sogleich wieder ab. »Das Essen im Kapitelhaus war zu gut. Ich war zu fett geworden.«
»Gair«, sagte der alte Mann sanft, »wenn ich es jetzt auslassen würde, käme nicht einmal genug heraus, um eine Bratpfanne damit einzufetten. Saaron könnte dich als lebendes Beispiel für seinen Anatomieunterricht nehmen.«
»Na und?«
»Setz dich, ich will mir deine Schulter ansehen.«
»Sie ist in Ordnung.«
Alderan sagte nichts darauf, sondern stellte nur seine kleine Tasche ab und deutete mit dem Kopf auf den Schemel neben dem Waschtisch.
»Ich habe gesagt, sie ist in Ordnung . Lasst mich in Ruhe, Alderan.«
Der alte Mann zog den Schemel mit dem Fuß dorthin, wo das Licht am besten war, und zeigte darauf. Gair biss die Zähne zusammen, wickelte sich das Handtuch fester um die Hüfte und setzte sich. Vielleicht würde Alderan bald wieder gehen, wenn Gair sich seiner unwillkommenen Fürsorge ergab.
Alderan machte sich langsam daran, einige Phiolen aus seiner Tasche zu holen und auf den Rand des Waschtischs zu stellen; dann säuberte und trocknete er sich sorgfältig die Hände. Mit einem kurzen Zupfen am Sang rief er einen Glimm hervor, der das Licht der Öllampen an der Wand verstärkte, sodass er die Wunde besser untersuchen konnte.
»Sie sollte genäht werden«, meinte er.
»Bestreicht sie mit Salbe, und sie wird sich über Nacht schließen.«
»Aber sobald du den Arm über den Kopf hebst, um das Hemd anzuziehen, wird sie wieder aufplatzen.« Der alte Mann hob die Brauen und sah ihn von unten wie über einen Brillenrand hinweg an. »Ich habe schon viele Leute zusammengeflickt, mein Junge. Ich weiß, was ich tue.«
»Na gut, dann vernäht sie.« Gair versuchte nicht einmal, die Gereiztheit aus seiner Stimme herauszuhalten.
Er spürte, wie Alderans Blick auf ihm ruhte, drehte ihm aber nicht den Kopf zu. Stattdessen starrte er auf die Bodenfliesen und zupfte an dem dünnen Goldring in seinem linken Ohrläppchen. Etwas anderes ärgerte ihn. Seine Bürste hatte sich in diesem dummen Ding verfangen, und Seife hatte sich an ihm gesammelt, als er sich rasiert hatte. Er hatte sich noch nicht daran gewöhnt, und in seiner gegenwärtigen Stimmung wollte er es auch nicht.
Er hörte, wie sich Alderan hinter ihm bewegte. Es ertönte das leise Klirren einer Nadel, die in eine Schale fiel, und das Gurgeln einer Flüssigkeit, die ausgegossen wurde. Dann sagte der alte Mann: »Ich weiß, dass du nicht hier sein willst, Gair.«
Das war eine Untertreibung. »Warum habt Ihr mich denn dazu gezwungen?«
»Es war notwendig.«
Gair schnaubte verächtlich. »Aber Ihr wollt mir nicht einmal sagen, was ich hier machen soll! Ihr habt mir bloß befohlen, meine Sachen zu packen und zu Saaron zu gehen, damit er mir das Ohrläppchen mit diesem Ring durchsticht, dessen Sinn mir übrigens noch immer nicht klar ist.« Gair zuckte zusammen, als die Nadel in seine Haut eindrang. »Verdammt, Ihr hättet mich warnen können!«
»Dieser Ring ist ein Zeichen für den Übergang eines Gimraeli ins Mannesalter.« Alderan knotete den Faden zusammen und schnitt das lose Ende mit einer Schere ab. »Manche Wüstenmänner haben eine blassere Haut und hellere Augen als die meisten Gimraeli, und einige von ihnen haben in die Familie der Feqqin eingeheiratet, sodass wir dich als einen entfernten Verwandten ausgeben können. N’ril wird uns mit den Hausfarben ausstatten, aber wir werden dir vermutlich die Haare färben müssen.«
Jetzt sah Gair ihn an. »Meine Haare? Blut und Steine!« Ein weiterer Stich hatte ihn unvorbereitet erwischt. »Warum machen wir uns solche Mühe, als Wüstenmänner durchzugehen, Alderan? Wie lange wollen wir hierbleiben?«
»Das weiß ich nicht genau«, sagte der alte Mann ruhig. »Vielleicht einige Wochen, vielleicht auch länger. Es hängt davon ab, was ich in El Maqqam finde, und bis dahin ist es das Beste, wenn wir so unauffällig wie möglich wirken. Und jetzt halte still. Ich will dich nicht schief vernähen.«
»Warum könnt Ihr die Wunde nicht einfach mit Eurer Kraft heilen?«
»Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich die Gabe dazu nicht besitze.«
»Und auch nicht die Gabe, Informationen mit anderen zu teilen«, murmelte Gair.
Die gebogene Nadel hielt vor dem nächsten Stich inne, und Alderan runzelte die Stirn. »Hast du vergessen, dass du mir dein Wort gegeben
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