Die wilde Jagd - Roman
einen gestandenen Ritter aus dem Sattel gehoben.«
Danilar schnaubte verächtlich. »Und er weiß es ganz genau. Ein wenig mehr Demut würde ihm nicht schlecht bekommen.«
»Seine Vigil heute Nacht könnte sie ihn lehren. Von Sonnenuntergang bis Sonnenaufgang mit der Göttin und den eigenen Gedanken allein zu sein, das bedeutet eine lange und schwierige Zeit.«
Die Menge holte gemeinsam Luft, als der nächste Novize durch einen Stoß abgeworfen wurde, der beide Lanzen in kleine, umherfliegende Bruchstücke zerschmetterte. Er erhielt nur eine kurze Atempause; der folgende Schlagabtausch endete mit dem Sieg des Ritters und einem bewusstlosen Novizen, der zu den Ärzten davongetragen wurde.
»Dieses Warten macht durstig«, murmelte Ansel und sah sich nach dem Pagen um. Der livrierte Junge brachte Wein und Pokale, und der Präzeptor verlagerte sein Gewicht auf den Kissen und versuchte das andauernde Kneifen in seinen Gelenken zu lindern.
Danilar sah ihn über den Rand seines eigenen Pokals an. »Schmerzen?«
»Es ist ein langer Tag gewesen, und ich bin einen Tag älter als gestern.«
Ansel hielt inne. Ein neuer Novize hatte den Turnierplatz betreten, noch bevor die Knappen die Splitter vom letzten Kampf beseitigt hatten. Er war stämmig, hatte sich den Helm über das üppige dunkelblonde Haar gestülpt und trug ein blaues und ein weißes Band am Arm.
Du solltest jetzt hier sein, Jenara. Du würdest vor Stolz platzen .
»Seht Ihr?«, murmelte Danilar. »Er ist vollkommen ruhig.«
Ansels Mund war trocken. Er wollte schlucken, hatte aber keinen Speichel; er konnte nicht einmal den Arm bewegen, um den Weinpokal an die Lippen zu führen. Er konnte nur nach unten starren.
Selsen sah genauso aus, wie man sich einen Ritter vorstellte. Er saß bequem auf dem Pferd und sah an der Lanze entlang, die ihm der Knappe gebracht hatte, als wolle er sich vergewissern, dass sie tatsächlich aus vierzehn Fuß langem, konisch zulaufendem Eschenholz bestand. Der Novize schenkte der Menge keine Beachtung, die inzwischen so betrunken war, dass sie jedem zujubelte, der den Platz betrat, wer immer es sein mochte. Sobald die üblichen Höflichkeitsbekundungen vorüber waren, nahm Selsen seine Position ein und wartete, als ob sich sonst niemand auf dem Feld befände.
»Möge die Göttin dich behüten«, hauchte Ansel, als der Hammer des Schmieds fiel.
Selsens rotbraunes Pferd sprang vor und kam schnell in den Tritt, als der Ritter vom anderen Ende der Kampfbahn auf es zupreschte. Nun war die Menge still, und Ansel hörte das Trommeln der Hufe, das Knirschen des Zaumzeugs und fühlte sich, als hätte er das Pferd zwischen den eigenen Knien. Treib ihn jetzt an . Der Fuchs fiel in einen Galopp. Noch fünfzehn Fuß, dann anlegen . Sanft schwang die Lanze nach unten, und Selsen steckte sich den Schaft unter den Arm. Jetzt abstützen!
Selsen beugte sich vor und erwartete den angreifenden Ritter. Die stumpfen Lanzenspitzen prallten gegen die Schilde, und krachend zerbrachen die beiden Lanzen. Die Menge brüllte auf wie ein verwundetes Tier; die Zuschauer sprangen auf die Beine. Die zusehenden Novizen an den Koppel pfiffen, und Ansel stieß laut die Luft aus. Er hatte nicht einmal bemerkt, dass er den Atem angehalten hatte.
Sowohl Herausforderer als auch Meister warfen die nutzlos gewordenen Lanzenreste weg und nahmen von den Knappen neue Lanzen entgegen, während sie ihre Pferde für die zweite Runde wendeten. Die Eichen auf den Schilden waren eingedellt und zerkratzt und zeugten von der Wucht, mit der die Waffen gegen sie gestoßen waren.
»Er hält sich gut, nicht wahr, Präzeptor?«, meinte Festan und drehte sich auf seinem Sitz um. »Wenn wir doch noch einmal in diesem Alter sein könnten!«
»Dreißig Jahre jünger und hundert Pfund leichter!«, gluckste ein anderer Ältester und klopfte auf seinen üppigen Bauch. Die ganze Reihe kicherte.
Ansel packte die Armlehne seines Sitzes mit der freien Hand, als die Knappen das Feld freigaben und der Schmied seinen Hammer hob. Ritter und Novize warteten, durch kaum eine Achtelmeile aufgewühlter Erde voneinander getrennt. Der Hammer schlug auf den Amboss, Sporen bohrten sich ins Fell, und der zweite Waffengang begann.
Wieder sah Ansel Selsens vollendeten Bewegungen zu. Der Novize traf den Schild des Ritters, und der Ritter stieß gegen den des Novizen. Beide erbebten in ihren Sätteln. Die Lanzen zitterten, brachen aber nicht, und das Keuchen der Zuschauer wurde rasch zu Jubel. Beide
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