Die wilde Jagd - Roman
war, glänzte so hell wie ein Spiegel und war vollkommen flach, abgesehen von einer kleinen Inschrift auf Gimraeli unter dem Handschutz. Er packte den Griff, schwang die Waffe und versuchte, ein Gefühl für sie zu bekommen.
»Sie ist perfekt austariert«, sagte er und rollte das Handgelenk. Der Stahl zischte durch die Luft wie ein Rasiermesser.
»Das Seelenschwert ist die traditionelle Waffe Gimraels. Wenn du als Gimraeli durchgehen und so tun willst, als kämest du aus einem der großen Häuser, wirst du eines tragen müssen.« N’ril stand auf und zog seine eigene Waffe. »Und es muss den Anschein haben, dass du es auch benutzen kannst.«
Er ging in die Mitte des Daches, wippte auf gespreizten Beinen, und das Schwert blinkte in seiner rechten Hand wie die zuckende Zunge einer Schlange.
Gair folgte ihm und ahmte seine Haltung nach. Sie war der Eröffnungsposition, die er im Mutterhaus gelernt hatte, nicht ganz unähnlich. Er hob die Klinge genauso hoch wie N’ril; die Spitzen waren nur eine Handspanne voneinander entfernt.
»Gut.« Der Wüstenmann lächelte. »Jetzt fangen wir an.«
N’ril war ein ausgezeichneter Lehrer, sowohl ermutigend als auch gründlich. Nach einer Stunde schmerzten Gairs Arme bis auf die Knochen. Als die Sonne bereits so tief gesunken war, dass die Baldachine orangefarben im Licht loderten, war er schweißnass und rang nach Luft, während der mahagonifarbene Oberkörper des Wüstenmannes nicht einmal feucht war.
»Besteht dein Blutpreis darin, mich so hart ranzunehmen?«, keuchte Gair und stützte sich mit den Handflächen auf den Knien ab. Der Schnitt in seiner Schulter brannte.
»Ich fühle mich geehrt, dass du meinen unbedeutenden Unterricht so hoch einschätzt, aber dem ist nicht so.« Der Wüstenmann verneigte sich und schob sein Schwert mit einer eleganten Drehung zurück in die Scheide. »In deinen Händen singt die Klinge. Wenn man nur geschickt mit der Waffe umgehen können muss, um Ritter zu werden, kann ich nicht verstehen, warum du keiner bist.«
Gair löste seine verkrampften Finger vom Griff des Qatan. Dunkle Schweißlinien durchzogen seine Handflächen, und die Wunde pochte von dem unvertrauten Griff.
»Es geht um mehr. Ich habe noch andere Gaben«, sagte er. »Solche, die die Kirche nicht gern sieht.«
»Aha.«
»Beunruhigt dich das?«
»Ich kenne Alderan schon sehr lange. Meine Seele hat Frieden.« N’ril hielt den Kopf schräg. »Darf ich fragen, ob du ein Mann des Glaubens bist?«
Gair nahm noch einen Becher Wasser und dachte über eine Antwort nach. Früher hatte er bei einer solchen Frage nicht lange überlegen müssen. »Ich wurde von Leuten erzogen, die die Göttin fürchten. Beantwortet das deine Frage?«
Der Wüstenmann grinste. »So ziemlich.«
»Und du? An was glaubst du?«
»Ich glaube daran, dass mein Vater mich gezeugt hat, dass meine Mutter mich geboren hat und dass mein Land mich ernährt. Die Sonne geht auf, und der Regen fällt, ob ich es will oder nicht. Das reicht mir.« Gair wollte ihm den geliehenen Qatan zurückgeben, doch N’ril schüttelte den Kopf. »Behalte ihn. Er hat genauso wenig einen Herrn wie Shahe.«
Natürlich! Rot und Schwarz, wie bei Shahes Zaumzeug. Jetzt begriff er die Bedeutung der Narbe an N’rils Arm. »Er hat deinem Bruder gehört.«
»Ja. Aber er hat keine Verwendung mehr für diese Waffe.« N’ril hob eine Braue. »Mögest du gut schlafen und fröhlich erwachen, mein Freund«, sagte er und verschwand in der zunehmenden Dunkelheit.
Die Hand auf Gairs Schulter riss ihn aus seinen Träumen. Er rieb sich den Schlaf aus den Augen, setzte sich auf und blickte sich in der Dunkelheit nach demjenigen um, der ihn geweckt hatte.
Ein Glimm leuchtete auf, und er musste die Augen mit der Hand beschirmen. »Es ist Zeit zu gehen«, sagte Alderan.
»Wie spät ist es?«
»Später, als mir lieb ist.« Der alte Mann vergrößerte den Glimm, bis der ganze Raum taghell erleuchtet war. Alderan trug eine lockere Hose, ein langes, an den Seiten geschlitztes Hemd und den aufgebauschten Barouk der Bewohner des Wüsteninneren. »Deine Kleidung liegt auf dem Stuhl. Zieh dich an, und komm dann mit deinem Gepäck zu mir in den Stallhof.«
Ein ferner, plötzlich abbrechender Schrei trieb Gair aus dem niedrigen Bett. »Was war das?«
Alderan schaute grimmig drein. »Es gibt Schwierigkeiten«, sagte er bloß. »Du solltest dich beeilen.«
Gair wusch sich und zog sich so schnell an, wie es ihm möglich war. Ein rötliches Glimmen um
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