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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Entsprechung gegenüber; eine ›Ritterin‹ gibt es in unserer Sprache nicht.«
    Ceinan beugte sich auf seinem Sitz vor. »Wollt Ihr sagen, Morten, dass es dieser Frau aufgrund einer Gesetzeslücke erlaubt werden sollte, zum Ritter geschlagen zu werden?«
    Der Älteste Morten spreizte die dürren Hände. »Ich will damit sagen, dass es keinen Artikel gibt, der es ausdrücklich verbietet.«
    »Aber es ist auch nicht ausdrücklich erlaubt, oder?«
    »Korrekt.«
    »Aber …«
    Tercel hielt einen gichtigen Finger hoch, und überraschenderweise verstummte Ceinan. »Im Recht hat es schon immer die folgende Regel gegeben: Was nicht verboten ist, ist erlaubt. Das ist eine der Säulen der Jurisprudenz.«
    Ansel biss sich in die Wange, um seine Freude nicht zu deutlich zu zeigen. Dem Himmel sei Dank für Morten und Tercel und ihre unerwartete Ehrerbietung gegenüber den Feinheiten des Kirchenrechts! Sie waren schon Experten darin, als ich gerade mein Noviziat hinter mir gelassen hatte. Will sich etwa jemand mit ihnen anlegen?
    Die Ältesten brummten und murmelten wie ein Topf auf der Flamme, aber niemand wandte etwas Wesentliches ein. Es war noch zu früh, viel zu früh, aber es juckte Ansel in den Fingern, Selsen endlich die vergoldeten Eichenblätter an die Schulter zu heften. »Wir sollten uns in dieser Sache vollkommen klar sein, meine Herren«, verkündete er. »Ältester Morten, bitte zählt uns die Anforderungen an einen Ritter auf.«
    »Gemäß Artikel eins muss der Kandidat gesund an Körper und Gliedern sowie mindestens zwanzig Jahre alt sein. Nach Artikel vier muss er mindestens sechs Jahre im Noviziat gedient haben, und gemäß Artikel acht muss der Kandidat vor maßgeblichen Zeugen ausreichendes Geschick im Umgang mit Waffen bewiesen haben.«
    Nicht ein einziges Mal musste Morten auf die vergilbten Seiten des Buches vor ihm schauen. Er wandte sich an Selsen, und ein freundliches Lächeln grub noch tiefere Runzeln in sein Gesicht. »Novize Selsen, bist du nach diesen Artikeln ausreichend qualifiziert?«
    Selsen nickte.
    »Kannst du nicht sprechen, Mädchen, damit der Bruder Schreiber in der Lage ist, deine Antwort aufzuzeichnen?«
    Der Schreiber am Tisch gegenüber wartete mit erhobener Feder. Selsen schüttelte den Kopf.
    »Das Mädchen war von Geburt an stumm«, warf Ansel ein. »Ich habe einen Brief, der das bestätigt und zu den Unterlagen gegeben werden kann.« Bitte verlange nicht danach, Morten. Ich habe schon genug riskiert, um sie so weit zu bringen. Es muss reichen!
    »Ich glaube nicht, dass das nötig sein wird, Präzeptor. Euer Wort reicht in dieser Untersuchung.« Morten verschränkte die Arme vor der Brust. »Und ich glaube, Selsen hat ausreichendes Geschick im Umgang mit den Waffen bewiesen, nicht wahr, ihr Meister?«
    Auf der Zeugenbank am anderen Ende der Halle nickten der Schwertmeister, der Pferdemeister und der Waffenmeister, auch wenn nur Selenas mit sich im Reinen zu sein schien. Die Andeutung eines Lächelns hatte sich auf sein schmales Gesicht gelegt.
    Du warst es, der vorhin gekichert hat, nicht wahr? Falls du es nicht gewesen sein solltest, siehst du so aus, als wolltest du es jetzt tun .
    »Habt ihr erkannt, dass der Novize weiblich ist?«, fragte Ansel. Sie schüttelten die Köpfe. »Ihr habt nur jemanden gesehen, der sich danach sehnt, zum Ritter geschlagen zu werden, und habt danach unvoreingenommen euer Urteil gefällt?« Abermals nickten sie. »Dann muss sie nur noch ihre Vigil hinter sich bringen. Der Ordensordnung zufolge ist sie qualifiziert. Ich sehe nicht, welche Einwände sonst noch erhoben werden könnten.«
    Er hob seinen Stab und wollte mit ihm auf den Boden klopfen und damit das Ende der Unterredung anzeigen, doch Festan war noch nicht fertig.
    »Ich finde es moralisch anstößig«, verkündete er. »Es gibt Gefahren, denen sich Frauen – und nur Frauen – gegenübersehen, wenn sie dem Feind unmittelbar gegenüberstehen.«
    »Welche sollen das sein?«, fragte Ansel. Ich hatte es erwartet, aber ich hatte nicht angenommen, dass Festan diesen Punkt anspricht .
    »Insbesondere jene, die sich aus ihrer möglichen Gefangennahme ergeben.«
    Die Worte hingen laut wie Donner in der Luft, obwohl Festan sie leise ausgesprochen hatte. Jeder Mann im Raum hatte sie gehört. Es gehörte zu den Pflichten eines Ritters, Frauen mit Waffengewalt, mit seinem Körper oder sogar, wenn alles andere versagte, unter Einsatz seines Lebens vor solchen Angriffen zu schützen. Es war gleichgültig,

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