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Die wilde Jagd - Roman

Die wilde Jagd - Roman

Titel: Die wilde Jagd - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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gesenkt, verbarg weiterhin das Ausmaß ihrer Wunde und drehte seine Handfläche nach oben.
    Das Brandmal zu sehen, entsetzte ihn schon lange nicht mehr. Er hatte sich an dessen Hässlichkeit und auch an die Steifheit der kleinen Muskeln darunter gewöhnt – nach anderthalb Jahren glaubte er inzwischen nicht mehr, dass seine Hand ihre volle Funktionsfähigkeit jemals wiedererlangen würde. Für eine Gläubige wie Resa war es jedoch ein Symbol all dessen, was man sie zu verabscheuen gelehrt hatte. Einen Hexer oder eine Hexe sollst du nicht leben lassen .
    Doch im Gegensatz zu Sofi schreckte sie nicht vor diesem Zeichen zurück. Stattdessen drehte sie seine Hand gegen das Licht und fuhr mit der Fingerspitze langsam das Hexermal nach, als ob sie es sich einprägen wollte.
    Dann hob sie den Kopf und sah ihm ins Gesicht.
    Das Messer des Kultisten hatte eine Spur von ihrem linken Mundwinkel fast bis zum Kiefergelenk gerissen. Auf der rechten Seite hatte es bis zum Wangenknochen hoch geschnitten. Das Fleisch hatte sich gestrafft, als es verheilte, und ihre Oberlippe zu einem beständigen Grinsen verformt.
    Ihre dunkelbraunen Augen warteten auf seine Reaktion. Sie blickten nicht herausfordernd, nicht trotzig drein wie Ayshas, sondern sehr gefasst. Nur eine gewisse Röte um die Augen verriet, dass sie geweint hatte.
    Er kannte keine Bezeichnung für das, was er fühlte. Er wusste nicht einmal, ob es dafür ein Wort gab. Es war dunkel und heiß, stieg in einer Welle aus seinem Bauch auf, und seine Hände verlangten nach dem Griff eines Schwertes.
    »Es tut mir so leid, Schwester.«
    Sie winkte ab. Es hieß, dass es ihm nicht leidtun musste. Dann deutete sie auf die Eiche, deren Bronzeblätter im Kerzenschein schimmerten. Das, was geschehen war, stellte den Willen der Göttin dar – oder vielleicht meinte Resa damit, dass die heilige Eador die Schuldigen bestrafen würde, wenn sie vor sie traten? Wie dem auch sein mochte, er konnte nichts tun.
    Oder doch?
    Als ihm der Gedanke kam, stieg der Sang in ihm auf; es war eine prachtvolle Kaskade der Möglichkeiten. Sie summten in all seinen Nerven und warteten darauf, dass sein Wille ihnen Gestalt verlieh.
    Eine Stimme in seinem Hinterkopf warnte ihn, es könnte in El Maqqam einen Hexenjäger geben, doch diese Stimme war so leise wie ein gefangenes Insekt, das man leicht überhören konnte. Was diesem Mädchen angetan worden war, war barbarisch. Unmenschlich. Es war auf so viele verschiedene Arten falsch , dass es jeden Grundsatz beleidigte, den Gair hatte. Er musste etwas tun, um diese Sache wieder ins Lot zu bringen.
    Während die Macht in ihm sang, berührte er mit der freien Hand Resas Wange. Sie zuckte vor ihm zurück, runzelte die Stirn, hatte Angst.
    »Ich werde dir nichts tun«, sagte er, »aber es wird sich seltsam anfühlen.«
    Was machst du da? Wir sind … Er schob Alderans Stimme beiseite, blendete sie aus. Das Weben erforderte seine ungeteilte Aufmerksamkeit.
    Der Sang prickelte in seinen Fingerspitzen, als er die Hand um Resas Wange schloss. Sie riss die Augen auf. Ihr Rücken wurde steif, dann öffnete sich ihr Mund, als der Schock der Verwunderung wich. Sie sah genauso aus, wie es nach Gairs Meinung sein musste, wenn man von der Gnade der Göttin berührt wurde.
    Ihr eigener Sang war ein zerbrechliches Ding, schwach und blass wie eine Pflanze, die zu lange im Dunkeln gehalten worden war. Er erbebte unter Gairs Berührung, die wenigen klaren Töne wurden vom Klirren der Schmerzen in ihrem Inneren überdeckt. Er konnte nur seinen Instinkt und die Erinnerung an Taniths Heilkunst zu Hilfe nehmen. So webte er seinen Sang um Resas Schmerzen und richtete sie auf das Licht aus.
    Das warnende Summen wurde stärker. Es war von dem kaum hörbaren Heulen eines winzigen Beißlings zum harschen, sägenden Dröhnen einer Pferdebremse geworden. Gair runzelte die Stirn und richtete seine ganze Aufmerksamkeit auf den Sang und die freudige Art, auf die er an seinen Nerven entlangrauschte. Davon konnte er nie genug bekommen. Es war so beglückend, so lebendig …
    Schmerz durchzuckte plötzlich seinen Geist, dumpf und blendend, als ob er sich den Kopf gestoßen hätte. Seine Nerven schrien auf, und die Musik des Sangs verwandelte sich in einen kreischenden Missklang. Er zuckte davor zurück, und sein Gewebe zerbrach zu wirbelnden, glühend heißen Splittern, die sich in sein Hirn bohrten wie die Krallen eines Raubtieres.
    Bei allen Heiligen, das tat weh! Jeder Schlag seines Herzens

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