Die wilde Jagd - Roman
Lichtkegel trieb die Schatten zurück. Eine Gestalt in einem schwarzen Gewand folgte; es war Kanonikus, der Alderans grauen Wallach an den Zügeln führte. Terz war nicht bei ihm. Offenbar war sie doch in das Hauptgebäude gegangen.
Die eisenbeschlagene Tür am oberen Ende der Freitreppe war geschlossen, und Gair konnte kein Licht im Tochterhaus sehen. Dafür spiegelte jedes einzelne Fenster in den oberen Stockwerken den Schein der Fackeln auf der Straße wider; es wirkte, als stünde das gesamte Gebäude in Flammen. In Zhiman-dar hatten die Kultisten Bücher verbrannt. Dem hässlichen Ton der Gesänge und den heftigen Schlägen gegen das Tor nach hatten sie sich hier in El Maqqam höhere Ziele gesteckt.
Die Tür öffnete sich sogleich, als er die Klinke drückte. Nur wenig Mondlicht fiel durch die hohen Fenster und kleidete die Eingangshalle mit ihrem Steinfußboden in Schatten. Er erschuf einen Glimm über seiner Schulter und eilte auf die Treppe zu. Er hatte keine Ahnung, wo das Dormitorium lag, aber vermutlich befand es sich in einem der oberen Stockwerke.
In der ersten Etage hörte er gedämpfte Stimmen und folgte ihrem Klang bis zu einem Seitenkorridor, in dem eine Gruppe von Nonnen wie aufgescheuchte Tauben durch die Dunkelheit huschte. Terz schritt vor und zurück, zischte ihnen zu und knurrte sie an, sie sollten sich beeilen, und ihre Ungeduld trug nur zur allgemeinen Nervosität bei.
»Um Himmels willen«, murmelte Gair und warf ein halbes Dutzend Glimme in die Luft. Die meisten Menschen fühlten sich sicherer, wenn sie etwas sehen konnten.
Einige Schwestern quiekten verängstigt angesichts der plötzlichen Beleuchtung, aber sie liefen nicht mehr so aufgeregt herum. Dafür erstarrten sie und sahen ihn mit angsthellen Augen an.
Eine stämmige grauhaarige Nonne war die Erste, die wieder zu sich kam. »Gnädige Heilige!«, rief sie und richtete sich zu ihrer vollen Größe auf. »Wer bist du, dass du dieses Teufelszeug in das Haus der Göttin zu tragen wagst?«
Gair breitete besänftigend die Arme aus und hielt die Handflächen nach unten, damit niemand das Hexermal bemerkte. Es lag schon genug Panik in der Luft.
»Ich bin hier, um euch zu helfen, Schwestern, das ist alles. Ihr seid hier nicht mehr sicher. Ihr müsst weggehen.«
Die Nonne reckte das Kinn vor. »Auf keinen Fall. Wir verrichten hier das Werk der Göttin. Wir lassen uns nicht von Unwissenheit und geistlosem Hass vertreiben.«
Avis und Resa hatten bereits am Morgen auf dem Platz ohne großen Erfolg etwas Ähnliches behauptet. »Uns bleibt keine Zeit mehr, darüber zu streiten, Schwester«, sagte Gair. »Kultisten stehen vor dem Tor, und zwar viele, und sie sind vermutlich bewaffnet. Wir müssen gehen.«
Er zählte die Frauen schnell durch und bemerkte keine vertrauten Gesichter. Einige fehlten.
»Ist die Superiorin nicht hier?«, fragte er Terz, die nur mit den Achseln zuckte.
»Woher soll ich das wissen? Für mich sehen sie alle gleich aus.«
Gair wandte sich an die Nonnen und hob die Stimme ein wenig. »Wo ist die Superiorin? Was ist mit Resa? Und mit Sofi?«
Die stämmige Nonne runzelte die Stirn. »Schwester Sofi holt die Truhe mit dem Hostienkelch«, sagte sie. »Und Schwester Avis ist zu den Gemächern der Superiorin gegangen, glaube ich.«
Wir sollten uns beeilen , drängte Alderan in Gairs Gedanken. Sie werden bald durch das Tor brechen!
Bei dem Gedanken, die Korridore des Tochterhauses auf der Suche nach den fehlenden Schwestern durchkämmen zu müssen, hätte Gair beinahe laut geflucht, doch er beherrschte sich gerade noch rechtzeitig. »Gibt es eine andere Tür hinaus auf die Straße? Ein Leprosentor oder sonst einen Weg nach draußen?«
»Es gibt tatsächlich ein Leprosentor hinter der Kapelle«, sagte die Nonne. »Aber was wird passieren, wenn wir draußen sind? Wer bist du?«
»Ein Sünder, Schwester Martha«, sagte die Superiorin mit klarer, schneidender Stimme. Sie erschien am Ende des Korridors. Sofi eilte mit einer kleinen Truhe hinter ihr her.
Die Superiorin hatte ihren schwarzen Habit angelegt, trug aber keinen strengen Ordensschleier, sodass ihr Gesicht jünger und sanfter wirkte und von kurzen braunen Locken eingerahmt wurde, die kaum eine Spur von Grau zeigten.
»Aber ein Sünder mit einem Schwert. Werft euch Barouks über eure Gewänder, Schwestern, und lauft dann zu Schwester Avis und den anderen am Leprosentor.« Sie klatschte in die Hände. »Schnell, denn wir haben keine Zeit zu verlieren.«
Eine
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