Die wilde Jagd - Roman
gekleidete Mann neben ihm hatte ein altersloses, angenehmes, aber nichtssagendes Gesicht, das man sofort wieder vergaß. Er war von mittlerer Größe und Statur, seine Haare waren mittelblond, und seine Augen waren seltsam farblos, was hieß, niemand, der sich lange genug an ihn erinnerte, konnte sagen, welche Farbe sie hatten. Das war eine von Tullys größten Stärken, und deshalb war er nun schon seit fast einem Jahrzehnt Savins Agent.
Er hob eine Braue, als er die sinnlichen Ausschweifungen in der Halle betrachtete, machte aber keine Bemerkung darüber. »Es ist Zeit«, sagte er.
»Sehr gut.«
Tully schlüpfte so leise zur Hintertür hinaus, wie er hereingekommen war, und Savin wandte sich wieder dem Mädchen zu. Er beugte sich zu ihrem Ohr vor und flüsterte ihr zu, wo er in einer Stunde sein und was er ihr geben würde. Der Feuervogel seufzte; seine Seidenflammen kitzelten Savin am Hals. Die junge Frau packte ihn am Handgelenk, schob sich seine Hand zwischen die Beine und setzte sich auf seine Finger.
»Später.« Er kicherte und tätschelte ihren haarlosen Venushügel. »Später.«
Er hob die Finger an die Nase und atmete ihren Duft ein. Süß und würzig. Lieblich. Dann folgte er seinem Agenten aus der Halle.
Die kalte Luft in der Burg traf ihn wie ein Kübel Eiswasser. Der Gestank des narkotischen Rauchs war bald verflogen, und der kalte Wind, der vom Nordmeer hereindrang, klärte seine Gedanken. Nachdem er zweimal tief durchgeatmet hatte, war er wieder wach und hatte die beengende, schwüle Atmosphäre der Halle abgeschüttelt.
Es dauerte ein wenig, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Nur das Mondlicht wurde vom Schnee gegen die Mauern zurückgeworfen. Savin sah, dass Tully am Ausfalltor auf ihn wartete. Ein gesatteltes Pferd war in der Nähe angebunden, und Savin lief über den knirschenden Schnee zu ihm hinüber.
»Ich gehe davon aus, dass du ein geeignetes Schiff gefunden hast?«, fragte er.
Tully nickte, holte einen zusammengerollten dicken Umhang hinter dem Sattel hervor und legte ihn um Savins Schultern. »Es ist ein schneller Handelssegler aus Weißhaven, der Renngalds Bernstein über Pencruik in den Süden bringt. Der Kapitän ist froh über jede zusätzliche Münze, die ein Passagier mitbringt, also wird er keine Fragen stellen.«
Das passte gut zu Savins Plänen. Geduld zahlte sich eben immer aus. »Ausgezeichnet. Hast du den Stein?«
»Selbstverständlich.« Der Agent holte einen kleinen Beutel von der Art aus der Tasche, wie sie von Juwelenhändlern bevorzugt wurden, und gab ihn Savin.
Der schüttete sich den Inhalt in die Handfläche. Der Juwelier hatte eine ordentliche Arbeit abgeliefert. Schnitt und Facettierung waren sehr gut; da es ein Kristall war, besaß der Stein nur einen Bruchteil des Feuers, das Savin benötigte, aber das ließ sich noch ändern.
Er öffnete sich dem Sang und legte einen Faden desselben um den Stein, der diesen in der Luft hielt. Dann zog er Luft-, Feuer- sowie ein wenig Erdsang zu einem komplizierten Muster zusammen, so raffiniert wie die feinste tylanische Spitze. Er straffte die Fäden, prüfte sie auf mögliche Fehler und ließ sie los.
Mit einem fast unhörbaren Klingen legte sich das Gewebe über den Kristall und wurde unsichtbar. Nun hing über Savins Hand ein brillanter Diamant in der Luft, der Lumiels Silberlicht einfing und es in Nadeln aus Blau und Gold wieder von sich gab.
»Beeindruckend«, murmelte Tully.
Geschickt benutzte Savin den Luftsang, um den Stein in den Samtbeutel zurückzustecken, und band die Schnüre zu. Sogar er selbst war nicht immun gegen die Wirkung des Steins. »Vergiss nicht«, sagte er, »dass du ihn nicht mit der bloßen Haut berührst, denn dann wirst du dich nie wieder von ihm trennen wollen.«
Sein Agent machte eine Leidensmiene. »Wie viele Jahre arbeite ich bereits für dich? Ich werde es nicht vergessen.« Er nahm den Beutel und steckte ihn wieder in seine Tasche. »Das Schiff segelt in vier Stunden mit der Morgentide. Vor Monatsende werde ich den Stein ins Kapitelhaus gebracht haben.« Er nahm die Zügel seines Pferdes und fügte hinzu: »Ist es gleichgültig, wen ich auswähle?«
Wenn es der Junge hätte sein können, wäre dies eine wunderbare Ironie des Schicksals gewesen, doch der Leahner hatte bereits bewiesen, dass er nicht leicht in Savins Bann geriet. Und nachdem er dem Sturm entkommen war, den Savin Alderan geschickt hatte, war er nun sicherlich noch misstrauischer, besonders
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