Die wilde Jagd - Roman
Schmerzen gelehrt. Nach kurzem Nachdenken und einer steifen Verbeugung ging die Sprecherin.
Als Teia allein war, fragte sie sich, ob es ein Fehler gewesen war, Ytha zu zeigen, welch fähige Schülerin sie war. Würde sie ihr nun mehr oder weniger trauen? Ihr mehr oder weniger Unterricht erteilen? Teia fragte sich sogar, ob es gefährlich für sie sein könnte, als Schülerin der Sprecherin zu gelten.
Vorsichtig berührte sie die feste Wölbung ihres Bauches. Solange sie Drwyns Kind trug, war sie in Sicherheit. Es verlieh ihr sogar eine gewisse Macht. Nicht einmal Ytha würde es wagen, ihr vor der Geburt etwas anzutun, wenn Teia sie nicht provozierte. Das verhalf ihr zu ein wenig Zeit, in der sie so viel wie möglich lernen musste.
Sehr sanft schickte sie einen Faden ihrer Magie durch die Schichten von Haut und Muskeln unter ihrer Hand und führte sie in die warme Dunkelheit des Bauches, wo sie das Kind liebkoste. Es war in einen schläfrigen Dunst eingehüllt, dessen Farben sich so träge regten wie ein Himmel voller Wolken in der Abenddämmerung.
Teia berührte dieses Gewebe; es war kaum fester als ein Atemhauch. Die Farben drehten sich und stiegen auf: tiefes Blau, prächtiges Bernsteingelb, andere Farben, für die sie keinen Namen hatte und die so strahlend wie Juwelen waren. Erstaunt zog sich Teia zurück. Sie wagte es nicht, länger zu verweilen, denn das einzig Zuverlässige, was sie über ihre Gabe wusste, war, dass sie kaum etwas über sie wusste. Die Farben verblassten wie der gedämpfte Lampenschein hinter einem Vorhang. Aber Teia spürte sie noch, lange nachdem die Musik wieder verstummt war.
Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass ihr Kind mehr als nur die Quelle von Rückenschmerzen und Magenverstimmungen war. Bedeutete dies, dass das Kind ebenfalls die Gabe besaß?
Dieser Gedanke entzündete einen unerwarteten Funken der Angst in ihr. Sie hatte noch nie von einem Mann gehört, der die Gabe hatte, denn diese folgte stets der weiblichen Linie, auch wenn sie nicht immer durchkam und manchmal ausstarb, manchmal aber auch in Familien wieder zum Vorschein kam, die seit Menschengedenken keine Schülerin mehr hervorgebracht hatten. Doch es waren stets Mädchen, die voller Angst einen oder zwei Monate nach ihrer ersten Blutung zur Sprecherin gingen – und manchmal sogar davor. Das waren in der Regel diejenigen, die die stärkste Gabe hatten, während Jungen in diesem Alter noch überlegten, ob sie Krieger oder Viehhüter werden sollten. Wenn Teias Kind die Gabe besaß, dann bedeutete das, dass es ein Mädchen war.
Teia biss sich auf die Unterlippe und zwang sich sofort, damit wieder aufzuhören. Wenn sie eine Tochter hatte, dann war es eben so; kein noch so angestrengtes Nachdenken vermochte dies zu ändern. Sie würde nicht so gut angesehen sein, als wenn sie einen Sohn geboren hätte, aber es würde beweisen, dass sie fruchtbar war und in Zukunft auch Söhnen das Leben schenken konnte, im Gegensatz zu Drwyns erster Frau, und er schien nicht unzufrieden mit Teia zu sein, also würde sich vielleicht doch nicht viel ändern.
Ihre Beziehung zu Ytha hingegen … war eine ganz andere Sache. Würde die Sprecherin Kinder mit der Gabe als Vorteil ansehen, oder würde sie sich davon und von Teia bedroht fühlen? Auf diese Frage gab es keine einfache Antwort.
Und was war mit dem Hund? Was hatte diese kurze, aber erschreckende Vision ausgelöst? Für den Bruchteil einer Sekunde war ihr Geist mit stinkendem Fell, heißem Atem und einer erschreckenden Gegenwart erfüllt gewesen, und dann war alles wieder verschwunden. Sie konnte sich nicht an die Einzelheiten erinnern, wohl aber an den allgemeinen, überaus lebhaften Eindruck, so wie wenige Kohlestriche und ein Streifen Ocker an einer Höhlenwand einen Elchbock darstellen konnten, der von Speeren erlegt wurde. Es war weniger ein Hund als vielmehr dessen Essenz gewesen, das Wesentliche eines Hundes. Diese Vision hatte sie vollkommen überwältigt.
So musste sich der Hase fühlen, wenn er vor dem Fuchs stand, oder der Spatz in den Krallen des Falken. Man sah und hörte nichts anderes mehr als den Jäger und wusste mit letzter Gewissheit, dass man die Beute war.
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Nach der ersten Lektion kam Ytha jeden Tag. Etwa eine Stunde lang unterrichtete sie Teia in der Kunst, Lichter zu erschaffen und den Wind zu beschwören. Ihr Lob kam widerwillig, ihr Tadel dagegen schnell, aber Teia nahm ihn hin und betrachtete ihn als den Preis des Wissens.
Zum ersten Mal hatte sie
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