Die wilde Jagd - Roman
legte. »Ich komme schon allein zurecht.«
Ein Faden der Kraft war alles, was sie brauchte, um eine blassgelbe Lichtkugel zu erschaffen, die nun über ihrer Schulter schwebte. Am nächsten Morgen würde Ytha zweifellos darüber schimpfen, doch trotzig entschied Teia, dass sie sich darüber erst dann Sorgen machen würde.
Der sanfte Glanz der Kugel zauberte Bestürzung auf Teirs Gesicht. »Bei Machas Ohren, Mädchen, du hättest mich vorwarnen können!«
Teia unterdrückte ein Kichern. »Entschuldigung. Ich habe dir doch gesagt, dass ich die Gabe besitze.«
»Ja, das hast du.« Teir blies in seinen Schnauzbart und steckte die Fackel zurück in den Ring an der Wand. »Ich hatte bloß nicht erwartet, ihre Auswirkungen in meiner eigenen Höhle zu beobachten.«
Er streckte einen Finger aus und strich vorsichtig über die Oberfläche der Kugel. Sie wirbelte um seine Fingerspitze, glitt ihm über den Handrücken, schmiegte sich an wie eine Seifenblase und war glatt wie ein Fisch. Sie spiegelte sich in seinen dunklen Augen wider wie eine Miniatursonne.
»Meine eigene Tochter«, murmelte er. »Ein solches Schicksal hätte ich mir für dich nie vorstellen können, Teisha. Ein Zuhause, ein Gemahl, Kinder, die dich glücklich machen. Aber nicht das hier. Du besitzt Kräfte, die ich nicht einmal ansatzweise verstehe.« Er rieb sich die Hand an der Hose ab. »Es prickelt.«
Teia hob den Rest ihrer Sachen auf. Tevira hatte ihr robuste Winterkleidung mitgebracht, denen ihre Söhne entwachsen waren und die ein ziemlich großes Bündel ergaben, und Ana hatte ihr ein paar Mondküchlein in ein Tuch gewickelt.
Mit vollen Armen beobachtete sie, wie ihr Vater die kleine gelbe Kugel zwischen ihnen anstarrte. Ihr Licht war nicht freundlich zu den Runzeln in seinem Gesicht, und sie bemerkte, dass er inzwischen noch mehr graue Haare bekommen hatte. Was war geschehen? Innerhalb einer einzigen Jahreszeit war ihr Vater zu einem alten Mann geworden, und seine Haare hatten die Farbe versengter Knochen angenommen.
Eine Vorahnung regte sich in Teias Hinterkopf, tat sich gähnend auf und drohte sie vollkommen zu verschlucken. Sie packte ihren Kraftfaden und riss sich fort von dem Abgrund. Einen Moment lang flackerte die gelbe Kugel schmerzhaft hell auf, dann nahm sie wieder ihr stetiges Schimmern an. Hinter Teias Augen schloss sich die Leere wieder.
Zitternd stieß Teia den Atem aus. Ihre Finger, die sie in der Kinderkleidung vergraben hatte, lockerten sich. Erleichterung durchflutete sie wie das Blut, das wieder durch ihre verkrampften Finger floss. Einen Augenblick lang hatte sie die Ahnung gehabt, dass eine schreckliche Zukunft auf ihre Familie wartete. Sie konnte es nicht ertragen, einen Blick darauf zu werfen. Nicht an diesem Abend. Natürlich würde sie es irgendwann tun müssen; daran konnte kein Zweifel bestehen, aber bei allen Sternen, bitte nicht an diesem Abend!
»Schlägt er dich noch, Teisha?«
»Nein, Papa.«
Er sah sie nicht an. »Das werde ich ihm nie vergeben. Er ist der Häuptling, und ich bin sein Untertan, so wie ich der Untertan seines Vaters war, aber das kann ich ihm auf gar keinen Fall vergeben.«
»Er kennt nichts anderes«, sagte sie leise. »Wenn du in derselben Höhle schlafen musst wie der Eisbär, dann lernst du, ihn nicht aufzuwecken.«
Ihre Mutter hatte dieses alte Sprichwort viele Male auf ihren Vater angewendet. Als Teir es nun wieder hörte, legte sich die Andeutung eines Lächelns auf sein Gesicht und hob die Enden seines Schnauzbartes. »Du bist so weise, meine kleine Teisha.«
Schließlich wandte er den Blick von der Kugel ab und richtete ihn auf ihr Gesicht. Er senkte die Stimme, obwohl niemand in Hörweite war außer Ana, die beim Abwaschen vor sich hin sang.
»Ich habe bei der Jagd mit einigen Männern gesprochen. Ihnen gefallen Drwyns Bestrebungen genauso wenig wie dir. Aber sie glauben, dass sie zu wenige sind, und außerdem hat Ytha ihn so sehr mit der Aussicht auf Ruhm geblendet, dass er sie nicht hören könnte, selbst wenn er es wollte. Ich wage es nicht, sie alle zusammenzubringen, damit ihre Stimme deutlicher wird.« Teir legte ihr die Hände auf die Schultern und drückte sie. »Ich habe es versucht, mein Liebling, aber sie haben zu große Angst davor, dass sich die Sprecherin gegen sie wenden könnte.«
Sie senkte den Kopf und schmiegte die Wange an seine Hand. Seit sie seine Miene gesehen hatte, wusste sie, dass er keine guten Neuigkeiten für sie hatte. Es war nur eine sehr
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