Die wilde Jagd - Roman
schwache Hoffnung gewesen, und so war es keine große Enttäuschung für sie, diese Hoffnung welken und sterben zu sehen. Sie hatte immer gewusst, dass es am Ende nur auf sie selbst ankommen würde. Doch was sollte sie tun? Ihre Träume hatten ihr seit etwa einer Woche nichts Neues mehr gezeigt, auch wenn der Hund seit Ythas erster Lektion noch zweimal schweigend durch ihre Gedanken gesprungen war. Jedes Mal hatte sie den Eindruck gehabt, dass er näher gekommen war.
»Ich werde mir etwas ausdenken, Papa. Mach dir keine Sorgen.«
»Wer will hier seine Kräfte mit denen der alten Götter messen?« Er schmunzelte und zwickte sie ins Kinn, sodass sie lächeln musste. So hatte er es immer gemacht, als sie klein gewesen war.
»Bis ich so weit bin, wird noch viel Zeit vergehen.«
»Gibt sie dir Unterricht?«
»Jeden Tag. Sie bringt mir nur einfache Dinge bei, wie zum Beispiel diese Lichter. Sie gibt ihre Geheimnisse nicht gern preis, aber ich lerne alles, was sie mir zeigt.«
»Ist es schwierig, so etwas zu machen?« Er deutete auf die Kugel.
»Nein. Wenn sie mir etwas gezeigt hat, ist es so, als hätte ich es schon immer gekonnt und müsste nur wieder daran erinnert werden. Der schwierigste Teil besteht darin, ihr nicht zu zeigen, wie einfach es ist.«
Teir beugte sich vor und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Sein Blick war ernst; die Runzeln in seinem ledrigen Gesicht wirkten plötzlich tiefer, aber vielleicht lag das auch nur an dem schimmernden Licht. »Pass auf dich auf, Teisha. Ich misstraue der Sprecherin.«
»Ich auch.«
Sie küsste ihren Vater auf die Wange und rief ihrer Mutter ein Lebewohl zu. Ana eilte herbei, umarmte sie mit nassen Händen, entschuldigte sich dafür und umarmte sie trotzdem noch einmal. Unter beständigem Lächeln und mit dem Versprechen, ihre Eltern so bald wie möglich wieder zu besuchen, ging Teia in die Dunkelheit hinein.
Die Umrisse des Falken lösten sich auf, und der keuchende Leahnerjunge lag in Menschengestalt im Schnee. Blut aus einer Wunde an seinem Hals hatte den Hemdkragen durchtränkt; der salzig-süße Geruch reizte den Schneeleoparden. Savin spürte, wie der Hunger des Tieres tobte und es die Krallen ausfuhr, ohne dass er es gewollt hätte.
An einem anderen Tag hätte er sich entspannt und dem Willen der Katze nachgegeben, sodass sie ihre Beute hätte reißen können, doch er war nicht wegen ihres Appetits hier, sondern wegen der Antworten, die er erwartete. Er musste herausfinden, was dieses zitternde Menschenkind wusste. Die Katze bleckte die Zähne, wütend darüber, dass sie im Zaum gehalten wurde. Bei Raubtieren bestand immer die Gefahr, dass die eigene Konzentration nachließ und der glühende Instinkt die Führung übernahm. Der Junge röchelte und versuchte den Kopf von dem faulen Atem der Bestie fernzuhalten.
Savin hob eine gewaltige silberne Tatze, legte sie vorsichtig knapp unter Gairs Kehle und machte ihm deutlich, dass die Katze schnell und stark genug war, um einen verwundeten Menschen zu überwältigen. Durch die Tatze des Tieres spürte er, wie das Herz des Jungen raste.
»Was willst du, Savin?«, keuchte Gair.
Es war ein so glücklicher Zufall gewesen, dass Savin hier, weit außerhalb der Schutzzauber um die Inseln, auf den einsamen und unvorbereiteten Jungen gestoßen war. Es war beinahe zu einfach gewesen.
Dich .
Er griff nach den Gedanken des Leahners. Er sah die huschenden Umrisse unter den sich wandelnden Farben und traf auf keinen Widerstand. Der Junge war erst zur Hälfte ausgebildet. Was brachten die Wächter denn ihren Schülern heutzutage noch bei?
Das hier .
Der Junge stürzte sich auf den Sang und versuchte eine Verteidigung aufzubauen, aber Savin durchdrang sie so leicht wie einen dieser arkadischen Papierschirme. Gair sog die Luft ein. Er riss die Augen schockiert auf. Sie waren grau, wie Savin bemerkte, und umrahmt von langen Wimpern, die manche jungen Männer von Natur aus hatten, während viele Frauen sie unter großen Mühen und mit viel Kosmetik zu erlangen versuchten. Dieses Bild gefiel ihm, und er kicherte in sich hinein. Mit einer Willenskralle schnitt er sich einen Weg durch Gairs Erinnerungen.
Der Junge schrie auf.
Eine Abwandlung des Schweigezaubers erstickte den Laut, bevor er Savin allzu sehr auf die Nerven ging. Er schenkte dem weit aufgerissenen Mund und den dicken Nervensträngen am Hals keine Beachtung; seine Aufmerksamkeit war ganz nach innen und auf den Schatz an Seltsamkeiten gerichtet, den er
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