Die wilden Jahre
Spezialanfertigung genommen, sondern einen schnellen Italiener, der eigens zu diesem Zweck angeschafft worden war.
Er trug keine Jacke, sondern einen Pullover; er hatte inmitten eines arbeitsreichen Tages zwei Stunden an eine Jazzfibel verschwendet, die dazugehörende Platte plärrte im Haus.
»Und du kannst nicht abstellen diese scheußliche Musik?« fragte Maman.
»Pst«, antwortete Martin, »deine Enkelin liebt sie.«
»Woher du weißt?«
»Filou weiß alles.«
Der Butler empfing das Kind, und Martin, der Petra nur flüchtig vom Fenster aus gesehen hatte, dachte verlegen: Wenn sie wenigstens drei Jahre älter wäre … Als er ihr entgegenging, lief er durch seine eigene Wohnung wie über fremdes Parkett, ein Vater, der sich wie ein Onkel fühlte.
Die Vierzehnjährige nickte dem Butler gelassen zu, sah sich kühl und wenig beeindruckt im Hause um; die Verachtung, mit der sie Martin begegnete, war distanziert.
»Ich bin dein Vater«, sagte er.
»Interessant«, antwortete Petra und betrachtete ihn spöttisch. Ihre Augen glänzten, das Gesicht spannte der Trotz. Eine schmale Oberlippe lag fest auf der vollen unteren: ein Ritt-Mund, dachte Martin belustigt und genoß es, daß ihm Bettinas Zorn mit seinem Gesicht begegnete.
Petra ging weiter, die Einrichtung des Hauses verächtlich musternd. Sie hatte den selbstherrlichen, ein wenig gewaltsamen Gang des Vaters und auch seinen langen Schritt.
»Scheußlich, diese Möbel, mein Kind«, sagte Martin, »stammten von Großmutter – sie hängt natürlich sehr an dem alten …«
»Wer ist das?« fragte Petra, als sie Maman sah.
»Madame«, machte Martin bekannt und verlieh damit der Großmutter einen Namen, der ihr bleiben sollte.
»Ma pauvre petite«, sagte Maman entzückt, als das Kind bei der Begrüßung artig knickste.
»Bitte?« fragte Petra und drehte sich nach Martin um.
»Du mußt entschuldigen«, sagte er, »Madame spricht nicht sehr gut deutsch.«
»Wieso?«
»Sie ist Französin.«
»Oh«, erwiderte Petra. Überrascht ihr Wahl-Französisch sammelnd, sagte sie: »Je suis – je suis très …«
Dann saßen sie bei Tisch. Maman war zu erregt, um Konversation zu machen, Petra noch zu überrascht von der Neuigkeit, eine Großmutter aus Frankreich zu haben, während Martin, der unerwünschte Vater, für sie weiterhin Luft blieb, schlechte Luft.
Martin übersetzte die Gedanken der Vierzehnjährigen richtig. Er wußte, daß man ihn im Hause Schlemmer einen neureichen Scharlatan schalt. Petra war bestimmt entschlossen, den erzwungenen Besuch wie einen Opfergang hinter sich zu bringen.
Nach Tisch legte Martin eine cool-jazz -Platte auf, die von ihm erworben worden war, als er den Bericht seiner Auskunftei gelesen hatte. Er sah, daß die Musik sofort bei Petra Anklang fand, sie sich aber der Neugierde noch versagte.
»Ist das das ›Modern-Jazz-Quartett‹?«
»Erraten, mein Kind.«
»Verstehen Sie was von Jazz?« entgegnete Petra. »Oder tun Sie nur so?«
»Du solltest dich allmählich entschließen, Petra, zu deinem Vater,du' zu sagen«, antwortete Martin.
»Ich werde Sie wohl eines Tages duzen müssen«, erwiderte sie, »aber – Vater nennen werde ich Sie nie!«
»Nicht nötig, Petra«, sagte Martin erleichtert.
Es war ein seltsames erstes Wochenende: Ein junges Mädchen, das Martin erstaunlich ähnlich sah, spielte Dame; eine Dame, die das Kind nicht aus den Augen ließ, wagte es nicht, das junge Mädchen anzusprechen, und ein Mann von zweiundvierzig zwängte sich zum erstenmal im Leben in väterliche Gefühle wie in einen Anzug, der zu kurz geraten war.
Am Sonntagabend, Punkt zwanzig Uhr, fuhr Martin Petra zurück. Sie wollte verbissen durch die Windschutzscheibe starren, aber sie betrachtete immer wieder das Armaturenbrett, wurde unruhig und fragte dann: »Wie schnell ist der Wagen eigentlich?«
»Zweihundertsechzig«, antwortete Martin.
»Glaub' ich nicht.«
»Dann probieren wir es aus.«
»Wo?«
»Auf der Autobahn.«
»Wann?«
»Wenn du wieder bei uns bist.«
»Wissen Sie was«, sagte Petra, »Sie sind ein gerissener Hund.«
»Ist das ein Kompliment oder ein Tadel?«
»Aber glauben Sie nicht«, umging das Kind die Antwort, »daß Sie mir mit solchen Dingen imponieren können.«
Martin kam nach Hause, und Maman empfing ihn mit rotem, glühendem Gesicht, obwohl eine Dame, wie sie meinte, immer blaß zu sein hatte.
»Oh – ist sie schön – sie ist schön wie du filou! Aber – sie nicht will viel von uns.«
»Wart's
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