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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Dritte Deutsche Bundestag gewählt werden würde, erörterte man das vermutliche Ergebnis.
    »Ich wette«, sagte Präsident Drumbach, »auf einen Stimmenanteil der Regierungspartei von vierzig Prozent.« Er war groß und wuchtig, hatte einen guten Kopf und glich einem Gelehrten, der Sport trieb. »Was meinen Sie, Herr Staatssekretär?« wandte er sich an Schlemmer.
    »Ich bin ein vorsichtiger Mann«, entgegnete der Hausherr.
    »Na, na, na …«
    »Aber an einen schönen Wahlerfolg meiner Partei glaube ich schon«, setzte er hinzu.
    »Und Sie, gnädige Frau?« fragte der Präsident Bettina.
    »Absolute Mehrheit«, antwortete sie.
    »Der Partei?«
    »Nein – der Koalition.«
    »Das heißt also …«
    »… daß wir künftig, wenn wir das wollten, mit zwei Drittel Mehrheit sogar die Verfassung ändern könnten.«
    Bettina bemerkte, daß ihr Mann sich abseits stellte. Sie schürzte die Lippen und sah ihn vor sich: sah ihn am Frühstückstisch, sah ihn in der langen Unterhose und im Büro des Ministeriums, sah, wie er im Bett die Brille abnahm und sie mit starren Augen betrachtete, mit fremdem Gesicht.
    Sie mochte ihn wenig, aber sie brauchte ihn; sie verachtete ihn, weil er undankbar war, weil es ihm unwahrscheinlich lieber gewesen wäre, ein kleiner Anwalt zu sein als ein einflußreicher Staatssekretär.
    Einen Moment verlor Bettina ihr Lächeln, betrachtete ihren Mann verdrossen, verglich ihn mit Martin und spürte, daß sie Schlemmer vielleicht deshalb so wenig mochte, weil er Martin so wenig glich, den sie weder grundlos noch zwecklos haßte. Ihr Salon war ein Sammelpunkt von Leuten geworden, die etwas gegen Ritt hatten – aus kommerziellen, politischen oder privaten Gründen.
    Sie ging auf Schlemmer zu, und während sie ihn anlächelte wie alle anderen, sagte sie hastig: »Kümmere dich um Drumbach – wenn ich komme, geh zu den Abgeordneten.«
    »Was meinen Sie, Herr Staatssekretär«, sagte Drumbach, der Präsident jenes Bankkonsortiums, das sich bisher offen und vergeblich gegen die Geschäfte der Firma Ritt gestellt hatte. »Es ist ja klar, daß das Problem Rotation einmal gelöst werden muß.«
    Bettina hielt sich kurz in der Justizecke auf, bestrebt, den Oberstaatsanwalt Dr. Link deutlich auszuzeichnen. Der dünne Mann sprach leise, heiser. Dr. Link galt als eine Art graue Eminenz des Landgerichts. Doch als ehemaliger Sonderrichter war er auf das Wohlwollen seiner Vorgesetzten angewiesen, die ihn gegen den Widerstand der Presse und justizfremde Anwürfe hielten.
    Staatsanwalt Rothauch, an den sich Bettina jetzt wandte, war ein junger Mann und hatte es besser. Seine Kriegszeit bei der Waffen-SS war unter die Jugendamnestie gefallen. Der Leiter eines Sonderdezernats bei der Staatsanwaltschaft, dem die Massenpresse mitunter die Jagd auf Prominente unterstellte, galt als blendender Jurist und stand, wie es hieß, vor einer glänzenden Zukunft.
    Niemand wußte, daß Rothauch ein ehemaliger Mitschüler Martins war und Dr. Link im Internierungslager mit dem alten Ritt die Stube geteilt hatte.
    Bettina ging zu den Bankleuten zurück, die ihr Gespräch abbrachen, als sie näher kam, da sie in Gegenwart Bettinas nicht von ihrem geschiedenen Mann reden wollten.
    »Bleiben Sie ruhig beim Thema, meine Herren«, sagte sie.
    »Wir sprachen gerade über die Lysistrata- Aufführung«, entgegnete Drumbach. »Haben Sie das Stück gesehen, gnädige Frau?«
    »Aber ja«, antwortete Bettina, »nicht nur gesehen.«
    »Sondern?«
    »Es ist mir …«, sie sprach langsam, als suche sie nach der Formulierung, »wie eine Parabel erschienen – wie ein Vergleich mit einer Situation, unter der wir alle ein wenig leiden – ich spreche von der Firma Ritt …«
    »Interessant«, murmelte Drumbach.
    »Bei Aristophanes beenden Frauen einen Krieg, indem sie sich ihren Männern gegenüber – recht unweiblich benehmen. Wenn wir das nun ein wenig abwandeln und statt der Frauen Banken – und anstelle galanter Verrichtungen Schaltergeschäfte nehmen, dann …«
    »Sie meinen …«, versuchte der Präsident Bettina festzulegen.
    »Ich meine gar nichts«, antwortete sie, hintergründig lächelnd. »Aber schließlich hat es ein Finanzmakler ohne Bankverbindung noch viel schwerer als ein Krieger ohne Liebe.«
    Die Herren der Runde begriffen, was Bettina als erste ausgesprochen hatte. Ritt, der Außenseiter, war ein Störenfried. Er agierte beweglicher als die Bankinstitute. Sein System rotierte, keiner Bankaufsicht unterstellt,

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