Die wilden Jahre
ab, Maman«, tröstete Martin sie in der Gewißheit seiner Erfahrung, daß alles käuflich sei, so man das richtige Angebot machte. Im übrigen freute er sich, daß ihm Petra so ähnelte – war stolz auf ein Kind, um das er sich nie gekümmert hatte.
VII
Es erging keine Einladung zu den Donnerstagszirkeln der Frau Bettina Schlemmer in der geräumigen Villa, die bewies, daß der frühere Rechtsanwalt Dr. jur. Dr. rer. pol. Heinrich Schlemmer auch schon vor dem Krieg, als Spezialist für Wirtschaftsfragen, nicht ohne Erfolg gewesen war.
Dieser Salon – er nannte sich politisch, aber überparteilich, christlich, aber überkonfessionell, kulturell, aber unabhängig – war durch einen Wanddurchbruch zweier großer Räume entstanden, so daß er fast das ganze Erdgeschoß einnahm.
Jeden Donnerstag war das Haus voll; hierher kam, wer etwas war oder etwas werden wolle, zu dünnen Martinis und lieblosen Sandwiches. Es machte den Gästen nichts aus. Sie erschienen nicht wegen der Bewirtung, sie besuchten einen Schnittpunkt von Wirtschaft und Politik, einen Umschlagplatz der Macht.
Überall standen Stühle, aber nur Damen oder wichtige Vorzugsgäste durften sich setzen. Die Gardinen waren von einem müden Petrol-grün, die Polster von einem verschossenen Violett. An der Wand trotzte ein echter Klee gegen einen Breughel in Öldruck. Die Möbel – Empire, steif und ein wenig eckig – entsprachen genau dem Zerrbild, das sich Martin Ritt von seiner geschiedenen Frau machte.
Bettina stand am Eingang und begrüßte ihre Gäste. Ob sie bekannt waren oder ob sie kamen, um Karriere zu machen, ob sie schon öfter den Salon besucht hatten oder dies heute zum ersten Mal taten, war ihrer Mimik, Gestik und Kordialität nicht anzumerken. Es mochte Routine sein, aber es wirkte echt. Es gab dieser eleganten Frau im Imprimékleid von Boussac, dessen kräftiges Blau sich in ein kühnes Grün schmiegte, Format. Der Ausschnitt war rund, die Taille forciert. Der Rock sah aus wie eine Glocke, wie eine Tulpe, und er machte es den männlichen Gästen leicht, ein Kompliment für die Dame des Hauses zu finden.
Bettina Schlemmer war eine aparte Persönlichkeit und eine gewandte Gastgeberin. Sie brachte die richtigen Leute zusammen, führte unauffällig einen zum anderen, löste eine Gruppe auf, die ihr nicht gefiel, und ließ jeden glauben, ihr bevorzugter Gast zu sein.
Sie wirkte auf Männer – aber seltsam zwiespältig. Eine Minderheit wurde ihr hörig, während die Mehrzahl sich nichts aus ihr als Frau machte, Bettina wirkte jünger, als sie war, vielleicht weil man immer neben ihr Schlemmer, den Sechzigjährigen, sah.
Ihre braunen Augen sahen alles, obwohl sie während des Gesprächs unverwandt am Gesicht des Partners zu hängen schienen. Der blasse Teint wirkte als pikanter Gegensatz zu ihren glatten dunklen Haaren.
Die Gastgeberin hatte ihren Salon mit resolutem Ehrgeiz aufgebaut, halblaut wurden hier Geschäfte besprochen, wurden Künstler lanciert und Ziele diskutiert, wurde gerichtet und vergeben, angeklagt oder verurteilt – alles im Plauderton der Konversation, im Rahmen der Konventionen, in diesem leicht antiquierten, keineswegs einladenden Raum, in dem sich nach der offiziellen Stunde die Besucher in zwanglose Gruppen auflösten.
Die Cliquen wurden zu Kasten; es gab deren drei: junge Beamte und Referendare, die später etwas werden wollten, neben der zweiten Ka tegorie, die sofort etwas erreichen konnte: Flügelleute der Parteien, nicht immer auf Höhenflug. Die dritte Gruppe schließlich stellten jene Herren, die die Wünsche der anderen beiden Ränge erfüllen konnten.
Über alle Cliquen, Gruppen und Kasten regierte Bettina Schlemmer, so höflich wie charmant; sie half nach, bremste, empfahl, bedauerte. Sie kannte jeden Gast, wußte meist, was er wollte und wieviel er haben konnte – und nicht selten war es so viel, wie sie ihm zumaß.
Bettina flirtete mit Männern wie mit der Macht. Sie schob ihre Kavaliere weg und zog sie wieder an, ermunterte und dämpfte, forderte und verweigerte, reizte und versagte. Es war das kokette Repertoire einer erfahrenen Frau, keiner konnte sagen, wie weit es reichte. Keiner wagte, den anderen zu fragen. So blieb jeder bei seiner Meinung, die ohnehin schon geteilt war.
Auch dieser Abend war gelungen, wie jeder Donnerstag bisher. In der Kaminecke saßen – es war seit Jahren üblich – Bankiers und Wirtschaftler, der wichtigste und exklusivste Kreis.
Da am kommenden Sonntag der
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