Die wilden Jahre
Sieben Berge duckte, als schäme sie sich der eigenen Unverfrorenheit, Hauptstadt eines Landes zu sein, das vorwiegend auf dem anderen Ufer lag. Drumbach mochte Bonns kleine Gassen nicht, die nach Bier rochen; er mochte die Hotels nicht, in deren Badezimmern es keine Bidets gab; er mochte das Klima des Treibhauses nicht und dieses Fluidum vitaler Senilität.
Drumbach hatte es sich leisten können, in Frankfurt zu bleiben und nicht nach Bonn zu ziehen. Wenn Politiker etwas wollten – und sie wollten immer das gleiche: Geld –, dann kamen sie zu ihm, und so war Drumbach nur selten am Rhein zu sehen: beim Presseball, auf der Diplomatenjagd oder beim Neujahrsempfang.
Jetzt wartete der Präsident auf Dr. Schlemmer; der Staatssekretär galt in Bonn als wichtiger Mann, aber für den Bankpräsidenten war er kaum mehr als ein Bauer im Schach der Macht, freilich mit einer Dame hinter sich, die ihn zu einem schlechten Zug verleitet hatte.
Drumbach trank Apfelsaft. Wer vorbeikam, grüßte höflich; die meisten kannte der Präsident nicht, und das konnte er sich leisten.
Eigentlich schade um diesen Ritt, dachte er, sich erinnernd, daß auch er einmal als kühner junger Mann begonnen hatte und zur rechten Hand eines Wirtschaftspotentaten geworden war, der die Weimarer Parteien von den Braunen bis zu den Roten bezahlt und zu beherrschen geglaubt hatte.
Bei diesem Mann war Drumbach in die Schule gegangen und hatte die Grundsätze gelernt: Ohne Geld keine Welt, ohne Gold kein Geld. Es wurde seine Überzeugung, seine Weltanschauung, der Kult, dem er diente. Alles mochte sich im Laufe der Geschichte ändern, doch an diesem Grundsatz des Kapitalmarktes würde keiner rütteln.
Der Gott, der Eisen wachsen ließ, variierte der Präsident, hat Gold so wenig vergessen wie die Kommunisten, die sich anmaßen, diesen Gott abgeschafft zu haben; auch sie schürfen Gold, finanzieren mit ihm ihre Spionage, ihre Rüstung, ihre Weltraumforschung, ihre Weizenkäufe; erst das Kapital, das sie aus ihren Sklaven preßten, ermöglichte ihnen, das Kapital zu bekämpfen – um es zu besitzen. Ein Mann wie Marx wäre bei mir allenfalls ein kleiner Handlungsgehilfe geworden.
Dr. Schlemmer betrat mit Frau und Tochter die Halle. Bettina schritt sicher und elegant durch das brodelnde, verhandelnde, intrigierende Foyer, fing Blicke auf und gab sie zurück, eine strahlende Verliererin.
Während Drumbach sich erhob, schwand seine schlechte Laune. Er rückte Bettina, die ein enges, raffiniertes Reisekostüm trug, einen verwegenen Hut und eine absurde Tasche, den Stuhl mit einem Kissen zurecht. Als sie sich anmutig bedankte, gestand er sich, daß sie die schönste aller häßlichen Frauen sei, die er kannte.
Er begann Schlemmer, der es nicht zu bemerken schien, wie einen Hahnrei zu behandeln. Ein Kellner kam an den Tisch und blieb wartend stehen, während der Staatssekretär – er kam aus einer geheimen Sitzung – halblaut sagte:
»Alles in Ordnung. Ich soll Ihnen die Grüße …«
»Danke«, erwiderte Drumbach.
An einem Nebentisch verhandelte ein hagerer Bettelmönch aus dem Fernen Osten, eine biedere mütterliche Frau übersetzte. So oft der Bettelmönch an den Tisch zurückkam, mußte die Matrone aufstehen und sich verbeugen.
»Komische Sitte«, spottete Petra.
»Ganz recht«, entgegnete Drumbach heiter, »und jede Verbeugung kostet uns schätzungsweise eine Million.«
Die Vierzehnjährige betrachtete die exotischen Exzellenzen: gelbe schwarze, kaffeebraune Diplomaten, die geschäftig herumsaßen, denn das Hotel war längst etwas wie ein Vorzimmer des Auswärtigen Amts geworden.
»Wie im Zirkus«, sagte Petra.
»Sei nicht so vorlaut«, entgegnete Bettina und fuhr ihr über das Haar.
»Darf ich gehen?«
»Natürlich, Liebling.«
Sie sahen ihr alle drei nach. Petra ging mit schnippischem Gesicht und betont saloppen Schritten, betrachtete die schwarzen und gelben Exzellenzen fast herausfordernd, und Drumbach sagte:
»Wenn Sie älter wäre, sollte man ihr das Ministerium für Entwicklungshilfe geben.« Er betrachtete den Staatssekretär boshaft. »Ein hübsches Kind …«
»Dem Vater aus dem Gesicht geschnitten«, sekundierte Bettina lächelnd, während Schlemmer seiner Tasche ein Dossier entnahm, als wollte er sich dahinter verschanzen.
»Ihr Lysistrata-Gedanke war prächtig, gnädige Frau«, sagte der Präsident, »er kam nur ein bißchen zu spät.«
»Ritts letzter Sieg«, entgegnete Bettina.
»Einer seiner letzten«, schränkte
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