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Die wilden Jahre

Die wilden Jahre

Titel: Die wilden Jahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Bar kam, überrascht stehenblieb und wartete, bis die beiden sich getrennt hatten.
    Dann fragte er den Nachtportier: »War das Mr. Lessing?«
    Der Mann schaute in seiner Liste nach, richtete sich wieder auf. »Sie haben recht, Herr Silbermann.«
    »Melden Sie mich an.«
    »Jetzt?«
    »Ein Bekannter«, antwortete der Birnenkopf, lächelte hämisch und dämpfte die Bedenken des Portiers mit einem Geldschein.
    Der Mann wählte die Nummer, nahm den Hörer ab und sagte in devoter Hast: »Entschuldigen Sie bitte, Mr. Lessing, darf ich Herrn Silbermann noch zu Ihnen schicken?«
    Aus der Muschel kam ein unverständliches Geräusch.
    »Herr Silbermann –«, wiederholte der Portier.
    Als er auflegte, sah er aus, als sei er geschlagen worden. »Bedaure«, erklärte er dem Leiter der ZBV-Tagung, »Mr. Lessing will nicht …«
    Silbermann lachte prustend, mit geschwollenem Gesicht, so derb und laut, daß einige Gäste in der Halle ihn verwundert und unwillig musterten.

XIII
    Die Diplomatenjagd war flau, die Strecke bescheiden. Ein gehetzter Hase kam Drumbach vor das Gewehr, der Bankier brachte es in Anschlag; im gleichen Augenblick sah er den russischen Botschafter an seiner Seite. Drumbach ließ ihm den Vortritt, aber der Diplomat war nicht minder höflich, und so jagte ein zweitrangiger südamerikanischer Attaché dem enteilenden Hasen eine Ladung Schrot in die Blume.
    »Alte Hasen meiden Bonn«, sagte Nüsslein, der Generaldirektor, lachend. Auf die Ereignisse in der Wasserburg anspielend, setzte er hinzu: »Besser gar nicht schießen als einen Bock.«
    »Besser einen Bock schießen«, erwiderte der Präsident, »als sein Pulver nicht trocken halten.«
    »Alsdann: Weidmannsheil!« rief der Generaldirektor des ABC-Konzerns, eines großen Versicherungsunternehmens, das sich bisher geweigert hatte, mit Martin Ritt Geschäfte zu tätigen, nicht zuletzt, weil Drumbach dem Aufsichtsrat vorsaß.
    »Wir haben diesen Ritt zu lange geduldet«, sagte der Präsident, »es war aber wohl falsch«, er lächelte maliziös, »ihn durch kollegiale Vereinbarung ausschalten zu wollen. Das ist eine Sache der ganzen Wirtschaft, der Allgemeinheit also, und damit der Gesetzgebung.«
    »Doch das kostet Zeit«, erwiderte Nüsslein.
    »Sicher. Aber wir haben sie.«
    »Nicht unbedingt. In einigen Monaten ist unsere Hauptversammlung. Wissen Sie, ob Ritt nicht inzwischen ABC-Aktien erworben hat?«
    »Sie sehen auch schon Gespenster, Nüsslein«, entgegnete Drumbach gereizt. »Rechnen Sie doch zusammen: Der Mann hat ein Bankhaus und eine Zeitung gekauft, ein Hochhaus gebaut – und wohl hundertmal so viel Geld verliehen, als er über Eigenkapital verfügt. Es gehört einfach zu seinem Stil, sich ständig zu übernehmen. Wenn wir endlich durch Gesetz die Zufuhr des Geldes unterbinden, dann platzt er wie ein angestochenes Gummitier.«
    »Wenn –«, erwiderte Nüsslein.
    Inzwischen stellte Staatssekretär Dr. Schlemmer einen wirtschaftsrechtlichen Ausschuß zusammen, der Wasserburgniederlagen künftig unmöglich machen sollte. Die Mitglieder und Abgeordneten waren fast ausschließlich Männer der Geldbranche.
    Längst waren die Interessenverbände zu Mitessern der Regierung geworden. Den Kritikern dieser Entwicklung hielt man entgegen, daß man schließlich Spezialfragen nur durch Fachleute erörtern lassen könne: so gruppierten sich aus der Masse der Volksvertreter die Interessenanwälte.
    Die Prozedur der Wahl war umständlich und überflüssig, denn längst galt als sicher, daß Dr. Umlauf, ein farbloser, wenn auch tüchtiger Mann, den Vorsitz übernehmen sollte. In kluger Zurückhaltung verzichtete der Staatssekretär darauf, einem allzu Exponierten dieses wichtige Amt anzuvertrauen. Dr. Schlemmer, froh, die Wasserburg gemieden zu haben, war entschlossen, sich auch von diesem Ausschuß fernzuhalten.
    »Ich weiß, was ich Ihnen verdanke«, redete Umlauf nach seiner Investitur auf den Staatssekretär ein.
    Schlemmer sah zum Fenster des Bundeshauses hinaus. Betrunkene Touristen mit lächerlichen Strohhüten zogen an der Uferstraße entlang und grölten lauthals: »Warum ist es am Rhein so schön?«
    »Aber doch mir nicht«, wandte er sich an Umlauf. »Sie verdanken diese Auszeichnung ausschließlich Ihrer eigenen Tüchtigkeit.«
    Präsident Drumbach saß auf der Terrasse des Hotels und sah auf den verschmutzten Fluß. Selbst der Rhein hat es eilig, dachte er, dieses Bonn zu verlassen. Er mochte die kleine Residenzstadt nicht, die sich hinter die

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